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Vordenker eines anderen Deutschland

Vor 75 Jahren wurde der Jesuit und Widerständler Alfred Delp hingerichtet

Von Christian Feldmann (epd)

"Ob dies ein Abschiedsbrief ist oder nicht, ich weiß es nicht". Die Zeilen schrieb Alfred Delp (1907–1945) mit gefesselten Händen im Gefängnis Berlin-Tegel. Der Häftling hatte noch sechs Wochen zu leben, war in völliger Ungewissheit über sein Schicksal, wurde immer wieder misshandelt und verprügelt. "Wie es mir geht? Da ist nicht viel zu sagen. (…) Hab keine Sorge, ich bemühe mich, kein Kleinholz zu machen, auch wenn es an den Galgen gehen sollte. Gottes Kraft geht ja alle Wege mit."

Jesuit, Arbeiterseelsorger, Regimegegner

Am 2. Februar 1945 wurde der 37-jährige Jesuit und NS-Widerstandskämpfer in Berlin-Plötzensee gehängt, seine Asche auf den Feldern verstreut, die Veröffentlichung einer Todesanzeige verboten. Heute gelten seine Aufzeichnungen als klassisches Beispiel für die Kraft, die der Glaube einem Menschen geben kann. In seiner Kerkerzelle lernte er Verlassenheit und Armseligkeit kennen, aber er entdeckte auch einen ganz nahen Gott.

1907 in Mannheim geboren und in einem gemischtkonfessionellen Elternhaus aufgewachsen, ließ Alfred Delp schon früh einen eigenen Kopf erkennen. Er entschied sich für den Katholizismus, im Jesuitenorden wurden Delps intellektuelle Begabung und enorme Belesenheit allgemein anerkannt. Bald nach seiner Priesterweihe 1937 ging der Männer- und Arbeiterseelsorger und Zeitschriftenredakteur Delp auf offene Konfrontation zu den Nazis. Anders als viele christliche Regimegegner damals protestierte er nicht nur, wenn der eigene Besitzstand bedroht war, die Rechte der Kirche, die katholische Lehre. Er unterstützte und versteckte verfolgte Juden.

"Was helfen uns alle Proteste und alle Einsätze um spezifisch christliche oder kirchliche Eigentümlichkeiten, wenn vor unsern Augen der Mensch entwürdigt wird?", fragte Delp 1943 vor Männerseelsorgern in Fulda. "Mit dem Menschen stirbt der Christ."

Hingerichtet, weil er eigenständig dachte

Im Oktober 1941 ist Delp in Berlin Graf Helmuth James von Moltke begegnet, auf dessen Gut sich die bürgerlich-zivile Widerstandsgruppe des "Kreisauer Kreis" traf. Die rund 20 Mitglieder entwickelten Modelle für einen Neuaufbau Deutschlands nach dem ersehnten Kriegsende.

Der Jesuit Delp wurde in diesem Kreis schnell zum Spezialisten für künftige gesellschaftliche und wirtschaftliche Konturen. Er dachte über eine soziale Umwälzung nach, die er "personalen Sozialismus" nannte: weitgehende Sozialisierung der Wirtschaft ohne Staatskapitalismus, wirksame Beteiligung der Arbeitnehmer an Führung und Ertrag ihres Unternehmens.

Am 28. Juli 1944 wurde Delp inhaftiert. Sechs Monate später begann vor dem Volksgerichtshof in Berlin ein Schauprozess. Dabei ging es gar nicht so sehr um Putschpläne und Verschwörer. Es ging um die Unverschämtheit, sich eigenständige Gedanken über die staatliche Ordnung gemacht, Hitler und der Partei ins Handwerk gepfuscht zu haben. Das Urteil: Todesstrafe wegen Hochverrats. Alfred Delp selbst formulierte es anders: "Mein Verbrechen ist, dass ich an Deutschland glaubte auch über eine mögliche Not- und Nachtstunde hinaus."

Rache vor dem Untergang

Frankfurt/main/epd In den letzten Kriegsmonaten, die Niederlage vor Augen, töten die Nazis noch zahlreiche prominente Widerstandskämpfer. Hitler wollte seine letzte Rache haben und wohl auch verhindern, dass die bestinformierten Köpfe des Widerstands in die Hände der Alliierten fielen. Viele Widerstandskämpfer – einige bereits lange in Haft, andere nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 gefangengenommen – ließ er noch töten. Zu ihnen zählten:

HELMUT JAMES GRAF VON MOLTKE (1907–1945), getötet am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee. Der Jurist Moltke hatte im "Kreisauer Kreis" an Entwürfen für eine geistige, politische und soziale Neuordnung nach dem erhofften Ende der Nazi-Herrschaft gearbeitet. Angeklagt wegen Hochverrats, wurde er vom Volksgerichtshof nicht zuletzt wegen seiner christlichen Haltung in den Tod geschickt. "Von wem nehmen Sie Ihre Befehle?" hatte ihn der Gerichtsvorsitzende Roland Freisler angebrüllt, "vom Jenseits oder von Adolf Hitler?"

NIKOLAUS GROSS (1898–1945), getötet am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee. Groß, geboren im heutigen Hattingen, war gelernter Bergmann, Journalist und katholischer Gewerkschafter. Er hatte Rassismus und Terror der Nazis in den von ihm redigierten Zeitungen auf raffiniert verschlüsselte Weise kritisiert. Er war einer der führenden Köpfe der katholischen Arbeiterbewegung und über Putschpläne informiert gewesen.

EUGEN BOLZ (1881–1945), getötet am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee. Der Zentrumspolitiker Bolz war bis 1933 württembergischer Staatspräsident. Er war im Schattenkabinett des Hitler-Gegners Carl Friedrich Goerdeler als Innenminister vorgesehen.

CARL FRIEDRICH GOERDELER (1884–1945): Am 2. Februar 1945 wurde der frühere Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler in Berlin-Plötzensee enthauptet. Goerdeler war eine zentrale Figur der bürgerlichen Widerstandskreise. Nach einem gelungenen Attentat hätte er Hitler als Reichskanzler ablösen sollen. Nach dem 20. Juli 1944 war er festgenommen und zum Tode verurteilt worden.

DIETRICH BONHOEFFER (1906–1945): Am 9. April 1945 wurde in Flossenbürg der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hingerichtet, führender Vertreter der oppositionellen Bekennenden Kirche. Schon früh betonte er die Pflicht der Christen zum Widerstand gegen staatliche Unrechtshandlungen. Als er ins Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht eingezogen wird, informierte Bonhoeffer kirchliche und politische Kreise im Ausland über den Widerstand. Im Jahr 1943 wurde er verhaftet, schrieb in seiner Zelle Briefe, die berühmt wurden: "Von guten Mächten wunderbar geborgen…". Kaum ein anderer evangelischer Theologe des 20. Jahrhunderts hat ähnlich tiefe Spuren hinterlassen.

GEORG ELSER (1903-1945): Ebenfalls am 9. April 1945 ließ Hitler im KZ Dachau den schwäbischen Tischlergesellen Georg Elser töten. Im November 1939 hatte Elser im Münchner Bürgerbräukeller ein Sprengstoffattentat verübt, das dem NS-Diktator gegolten hatte. Acht Menschen starben, Hitler aber entging der Bombe, weil er seine Rede vorzeitig abbrach. Seitdem saß Elser in Haft. Seine Tat sei "keine Sünde im Sinne der protestantischen Lehre", sagte Elser im Gestapo-Verhör. Denn: "Ich wollte ja durch meine Tat ein noch größeres Blutvergießen verhindern."