Die Bedrohung der Demokratie durch Rechtsextremisten und der Kampf gegen den Klimawandel verlangen das Engagement aller, mahnt das Stuttgarter Haus der Geschichte. Es widmet beiden Aspekten neue Ausstellungen.
Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg will nicht mehr nur Historisches vermitteln. Es will nach den Worten seiner Direktorin Paula Lutum-Lenger immer mehr zu einem “Lernort für Demokratie” werden. “Manchmal erschrickt man ein wenig darüber, wie aktuell dieses Anliegen heute ist”, sagte Lutum-Lenger am Mittwoch in Stuttgart bei der Präsentation eines neuen Ausstellungsbereiches.
Dabei begegnen 17 Persönlichkeiten aus Baden-Württemberg, die für “Demokratie und Teilhabe nach 1945” stünden, dem Besucher in Leuchtstelen. Darunter sind der frühere Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU), die Transfrau Simona Maier und der Schoah-Überlebende Harry Kahn. Maier und der heute 76 Jahre alte Sohn Harry Kahns, Fredy Kahn, waren bei der Ausstellungseröffnung anwesend.
Harry Kahn hatte nach der Befreiung aus dem KZ einen Neubeginn in der alten Heimat gewagt und sich für die Rückgabe seines geraubten Familienbesitzes eingesetzt. Er hatte mehrere NS-Lager überlebt und nach Kriegsende dann den Mut gehabt, wieder als Viehhändler in Baisingen bei Rottenburg am Neckar neu zu beginnen.
Sein Sohn Fredy Kahn, der später als Arzt arbeitete, sagte nun in Stuttgart vor der Leuchtstele mit dem Bild seines Vaters: “Wohin kehrt man zurück, wenn man schwer gedemütigt wurde und aus dem KZ kommt? Zu seinen Wurzeln!” Nur als die NPD aufgekommen sei, habe sein Vater überlegt, wegzuziehen. Doch Harry Kahn blieb und setzte sich dafür ein, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Der 1947 geborene Fredy Kahn sagte, er habe als kleines Kind die “unsägliche” Geschichte seiner von den Nazis verfolgten Vorfahren selbst auf eigentümliche Weise erfahren: “Meine ‘Oma’ war gar nicht meine echte Oma, es war eine Frau, die ebenfalls aus dem KZ gekommen war.”
Die in der Weinbranche bekannte Winzermeisterin Simona Maier sagte in Stuttgart, sie wolle das Leben queerer Menschen sichtbar machen. Heute habe sie damit kein Problem mehr, während sie in der Jugend in einem sehr konservativen Umfeld mit Depressionen zu kämpfen gehabt habe. Die Transfrau kam als Simon zur Welt – “leider mit männlichen Geschlechtsmerkmalen”, wie sie sagt. Heute engagiert sich Simona Maier als bekanntes Mitglied der queeren Community vielerorts für Menschenrechte, Vielfalt und Toleranz.
Eine Stele für die Biografie einer 18. Person in der Demokratieabteilung ist keiner Person fest zugeordnet. Sie wechselt regelmäßig. Wessen Geschichte zu sehen und wessen Stimme zu hören sei, werde “immer wieder neu in einem partizipativen Prozess entschieden”, erläuterten die Kuratoren Sabrina Müller und Alexander Schwanebeck.
Außerdem zeige das Haus der Geschichte die Bedrohungen durch den Klimawandel mit einer “spektakulären Präsentation”, sagte Ausstellungsleiter Rainer Schimpf. Eine mit Daten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) erstellte Animation zeigt, wie stark sich die Erde und ihr Klima verändern. In einer fünfminütigen Animation könne man auf der mehrere Meter großen Projektion jeweils per Knopfdruck sehen, wie rasant etwa die Abholzung von Wäldern oder das Abschmelzen von arktischen Eismassen fortschreiten.
An der “Klimatreppe”, die zu der multimedialen Erde führt, ist zudem eine von Astronaut Alexander Gerst 2018 auf der Raumfahrtstation ISS aufgenommene Videobotschaft “an meine Enkelkinder” zu sehen. Darin betont Gerst, dass das “Raumschiff Erde” aus dem All viel zerbrechlicher wirke als sich das die Menschen vorstellen könnten. Der Astronaut mahnt die heutige Generation, im Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe noch die “Kurve zu kriegen”.