Nicht nur beim gemütlichen Grillabend in einer lauschigen Sommernacht greifen die Deutschen gerne zu alkoholischen Getränken. Das Feierabendbier, der Cocktail in geselliger Runde und der Verdauungsschnaps gehören für viele zum Alltag und guten Leben dazu. Der Mediziner und Buchautor Helmut Seitz untersucht seit Jahren die Folgen. Im Interview mit Angelika Prauß spricht der Direktor des Alkoholforschungszentrums der Universität Heidelberg über die Volksdroge.
• Herr Seitz, wie kommt es, dass Sie sich seit über 40 Jahren mit riskantem Alkoholkonsum beschäftigen?
Ich komme aus der Molekularbiologie und bin eigentlich Grundlagenforscher. Im Studium war für mich das Molekül Alkohol von besonderem Interesse. Dieses winzige Molekül greift in den Stoffwechsel der Menschen so ein wie kein anderes – das hat mich fasziniert. Später habe ich mich zum Thema Alkohol und Krebs habilitiert und war langte Präsident der Europäischen Alkoholforschungsgesellschaft. Deswegen bin ich in die Problematik sehr eingebunden.
• Warum sind die Deutschen dem Alkohol so zugetan?
In Deutschland wurde immer schon viel getrunken. Politiker sprechen oft von einem Kulturgut. Alkohol wird gerne verniedlicht und verharmlost. Noch immer glauben viele, dass Alkohol gesund ist und nicht schadet.
Außer in den skandinavischen Ländern mit ihrer restriktiven Alkoholpolitik werden in Europa überhaupt viel Bier, Wein und Spirituosen getrunken – so viel wie auf keinem anderen Kontinent. Mit dramatischen Folgen: Eine halbe Million Europäer sterben an einer alkoholbedingen Leberzirrhose. Und allein in Deutschland kommen jedes Jahr 10 000 Babys mit einem Alkoholschaden zur Welt.
• Neben Babys im Mutterleib – für wen ist Alkohol besonders gefährlich?
Auch Heranwachsende können sich nicht wirklich frei entscheiden – sie lassen sich stark von der Werbung beeinflussen. Sie beginnen dann mit 13, 14 Jahren, sich zu betrinken. So ein frühes Einstiegsalter geht gar nicht. Denn damit haben sie ein hohes Risiko, abhängig zu werden, Gehirnzellen zu verlieren und später an Krebs zu erkranken.
Auch bei alten Menschen ist der Konsum riskant. Sie nehmen zahlreiche Medikamente ein, bei vielen kommt es dann zu fatalen Wechselwirkungen. Außerdem ist der Stoffwechsel von alten Menschen langsamer, Alkohol wird schlechter verstoffwechselt.
• Wie wirkt Alkohol auf den menschlichen Körper?
Beim Abbau von Alkohol entsteht Acetaldehyd, ein sehr giftiges Produkt. Es schädigt die Erbsubstanz und ist eine Ursache von Krebs. Außerdem entstehen bei der Oxidation von Alkohol sehr giftige, radikale Substanzen, die ebenfalls die Zellen schädigen. Aber nicht nur die Leber – nach jüngsten Daten der Weltgesundheitsorganisation werden über 200 Erkrankungen durch Alkohol verursacht oder verschlechtert.
Zudem ist Alkohol nicht nur ein Nervengift, sondern auch ein Suchtmittel. Zwei Millionen Menschen sind derzeit allein in Deutschland alkoholabhängig.
• Ein „Gläschen in Ehren“ gilt als vertretbar. Was sagt der Mediziner?
Wenn man den allgemeinen Empfehlungen für Alkoholkonsum folgt, ist bei gesunden Menschen nichts gegen ein Glas Wein am Tag einzuwenden. Wenn Sie es dabei belassen und zwei Tag in der Woche Pause machen, dann haben Sie eine risikoarme Situation – keine risikofreie. Die meisten belassen es aber nicht bei einem Gläschen, sondern trinken drei, vier – und dann wird‘s halt gefährlich. Das Problem: Wie gut jemand Alkohol verträgt, ist sehr individuell. Nicht jeder bekommt Gesundheitsprobleme. Es hängt auch von genetischen und von weiteren Umweltfaktoren ab. Wer etwa zusätzlich raucht, hat ein höheres Krebsrisiko. Stark übergewichtige Alkoholkonsumenten bekommen verstärkt Leberzirrhose. Die gesundheitlichen Risiken werden durch Alkohol also nochmal verstärkt.
• Das hält aber kaum jemanden vom Konsum ab … Warum?
Alkohol ist ein soziales Schmiermittel, es euphorisiert, die Leute verlieren die Hemmungen. Das gefällt vielen. Die meisten Menschen glauben, dass sie ohne Alkohol keinen Spaß haben können – überall wird getrunken, um entspannt und gut drauf zu sein, Viele Teenager betrinken sich einfach aus Jux. Aber auch Senioren greifen verstärkt zur Flasche, etwa nach dem Tod des Partners aus Einsamkeit. Es gibt also viele Gründe, warum man trinkt.
• Nach allem, was Sie über Alkohol und seine Folgen wissen – trinken Sie selbst überhaupt noch Alkohol?
Durchaus, aber sehr bewusst. Wenn ich ein Glas Wein trinke, dann genieße ich das Glas und freue mich über seinen wunderbaren Geschmack. Ich möchte nicht missionieren, und ich sage nicht, man soll keinen Wein trinken. Wenn man das in Maßen und in der entsprechenden Dosis macht und nach einem Glas aufhört, dann ist das für viele Menschen in Ordnung. Voraussetzung ist, dass man ganz gesund ist und keine Erkrankungen hat, die auch durch kleine Mengen Alkohol schlechter werden.
Nachdem ich mich über 40 Jahre mit dem Thema beschäftigt habe, möchte ich einfach nur auf die Fakten hinweisen. Jeder Mensch kann dann frei entscheiden, was er macht und welches Risiko er eingeht. Er sollte aber wissen, worauf er sich einlässt.