Hat ein Pfarrer daheim an seinem Küchentisch an einer 18-Jährigen ein Sexualverbrechen begangen? Das muss ein Prozess vor dem Münchner Amtsgericht klären. Am ersten Verhandlungstag wurden die Eltern der Frau vernommen.
Ein katholischer Priester muss sich seit Mittwoch vor dem Münchner Amtsgericht in einem Vergewaltigungsprozess verantworten. Der 68-Jährige soll sich in einem oberbayerischen Dorf vor etwa sieben Jahren an einer 18-Jährigen vergangen haben. Diese habe mit ihrer Mutter bei ihm im Pfarrhaus seelsorglichen Beistand in Familienproblemen gesucht. Der Geistliche verfolgte den ersten Verhandlungstag schweigend und weitgehend reglos im Rollstuhl. Zur Anklage nahm er keine Stellung.
Der Mann stammt aus Bosnien-Herzegowina und ist ein inzwischen in den Ruhestand versetzter Priester des Erzbistums München und Freising. Seit Jahresbeginn sitzt er in Untersuchungshaft. Zuvor war er von Kroatien für das Strafverfahren in Deutschland ausgeliefert worden. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm mindestens zwei Jahre Haft.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, mit den Fingern und unter Einsatz von Gewalt in die junge Frau eingedrungen zu sein, als sie neben ihm allein am Küchentisch auf der Eckbank saß. Die Tat soll sich laut Anklage zwischen August 2018 und März 2019 zugetragen haben. Nachdem die Mutter der 18-Jährigen mit der Schwester des Pfarrers den Raum verlassen habe, sei er zudringlich geworden. Er habe der jungen Frau die Jeans geöffnet, sie festgehalten und ihr gedroht, “das Leben zur Hölle” zu machen, falls sie etwas sage.
Zum Auftakt der Beweisaufnahme wurde die Öffentlichkeit auf Antrag der Nebenklage ausgesperrt. Für mehrere Stunden schauten sich die Prozessbeteiligten eine Videoaufzeichnung mit Aussagen der Hauptbelastungszeugin an. Danach wurden ihre Eltern hintereinander in den Zeugenstand gerufen.
Dabei kam ein vielschichtiges Familiendrama zum Vorschein. Nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter suchte die Ehefrau offenbar nicht nur seelsorglichen Rat bei dem Geistlichen. Sie ging mit ihm auch ein sexuelles Verhältnis ein. In dieser Zeit habe ihr Sohn einen Suizidversuch unternommen.
Als ihr Ehemann von der Liaison erfuhr, stellte er nach eigener Aussage umfangreiche Nachforschungen zu dem Priester an, der nicht nur in Bayern, sondern auch in Österreich und der Schweiz als Seelsorger gearbeitet hat. Dabei habe sich ein kriminelles Muster gezeigt, sagte er. Der Priester habe an seinen Seelsorgestationen gezielt die Nähe wohlhabender Frauen gesucht, sich in deren Beziehungen gedrängt und diese dann “abgezockt”. Ihm sei völlig unverständlich, warum die Kirche das zugelassen habe.
Zum Tathergang konnte der Vater, der ebenfalls im Rollstuhl saß, nur wenig konkrete Angaben machen. Seine Tochter habe sich anfangs geweigert, mit ihm darüber zu sprechen, weil sie “total durch den Wind” gewesen sei. Später habe sie “scheibchenweise” erzählt, dass sie gegen ihren Willen “da unten angefasst” worden sei. Der Zeuge sagte zudem aus, er habe ein Video von der Tat gesehen. Wie dieses zustandegekommen sei, dazu machte er keine Angaben. Er habe es inzwischen vernichtet.
Die Mutter sagte aus, sie habe die Tat selbst nicht mitbekommen, weil die Tür zur Küche geschlossen gewesen sei. Als sie wieder hereingekommen sei, habe ihr die Tochter jedoch signalisiert, sie wolle so schnell wie möglich weg. Der Pfarrer habe ihnen beiden vorgeschlagen, zu einem “flotten Dreier” in die Sakristei zu gehen. Das sei widerlich gewesen. Nach diesem Treffen und nur noch zwei bis drei Begegnungen mit dem Pfarrer sei das Verhältnis beendet gewesen.
Im Frühjahr 2019 muss es in der Münchner Bistumsverwaltung ein Gespräch des Vaters und seiner Tochter mit Kirchenmitarbeitern gegeben haben. Irgendwann habe diese von der Kirche auch einen “lächerlichen Betrag” erhalten, sagte der Vater. Ihm selbst sei es eher darum gegangen, dass der Angeklagte “nicht mehr die Gelegenheit bekommt, andere ins Unglück zu stürzen”.
Das Erzbistum hat einem Sprecher zufolge “gegen Ende März 2019 von einem entsprechenden Vorfall erfahren, damals allerdings keine vollständige Kenntnis der nun dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat erlangt”. Das sei erst im Zuge staatsanwaltlicher Ermittlungen im September 2024 geschehen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Priester bereits im Ruhestand gewesen. Die Schilderung von 2019 habe weder den Straftatbestand einer Vergewaltigung erfüllt noch einen Verdacht des Missbrauchs einer Minderjährigen begründet, so der Sprecher.
Der Prozess wird am 29. Oktober fortgesetzt.