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Vergänglich

Im Römerbrief spricht der Apostel Paulus vom Leid der Schöpfung und ihrem Warten auf Erlösung. Am Ewigkeitssonntag gedenken wir derer, die bereits erlöst wurden. Freude und Erleichterung fallen dabei aber oft schwer. Denn für uns als Hinterbliebene ist der Tod eines geliebten Menschen ein schwerer Verlust. Veit Hoffmann beschreibt das unsichtbare Tauziehen zwischen Dunkelheit und Licht.

Foto: Dietmar Silber

Von Veit Hoffmann

Der November ist ein dunkler Monat. Es gibt Tage, an denen es nicht hell wird. Manche Menschen bezeichnen das Novembergrau auch als das Licht der Verlorenen. Der kommende Sonntag ist der Totensonntag. Nennen wir ihn lieber Ewigkeitssonntag. Wir erinnern uns an unsere Verstorbenen, gehen auf die Friedhöfe, decken die Gräber mit Tannengrün zu. Der November schlägt auf das Gemüt. Doch wenn an solchen Tagen einmal der Himmel aufreißt und die Sonne durchbricht, dann hat das Auswirkungen auf unsere Seele. Wir merken in solchen Momenten, wie sehr wir das Licht brauchen. Kein Wunder, dass Gottes erste Worte waren: Es werde Licht! Ohne Licht gibt es kein Leben. Babys beginnen zu weinen, wenn das Licht gelöscht wird. Pflanzen wachsen zum Licht. Ein Mensch, der immer im Dunklen lebt, wird krank, gemütskrank. Es gibt ja solche innere Dunkelheit. Viele Menschen leben mit ihr. Kein Licht ist da. Nur schwere Gedanken. Manche von ihnen haben sich deshalb innerlich abgeschottet. Junge Menschen haben ihre eigenen Vorstellungen vom Leben. Es soll hell, erfolgreich und ohne Stolpersteine sein. Glücklich will die Jugend sein, verliebt vor allem. Ein gelingendes Leben in einer glatten, straffen, durchtrainierten Gut-Drauf-Gesellschaft erträumen sie sich. Das ist ihr gutes Recht. Doch oftmals geht es dann weiter mit Schwierigkeiten in der Schule, der Enttäuschung in der ersten Liebe und erfolgloser Suche nach einer Lehrstelle. Sicher, das muss nicht so sein. Vieles kann gelingen, wir wünschen es auch. Aber die Tiefpunkte bleiben nicht aus, besonders im fortgeschrittenen Alter. Wenn sich im Leben Schmerzen und Entbehrungen einstellen, vielleicht Krankheit oder der Tod eines geliebten Menschen. Das ist nun mal die Realität in dieser unvollkommenen, vergänglichen Welt. In einer Welt, in der wir, wie der Apostel Paulus sagt, wie durch einen tausendfach zertrümmerten Spiegel sehen. Wir müssen lernen damit umzugehen. Es gibt nun einmal Schatten und Licht, Tag und Nacht, Mai und November. So ein unsichtbares Tauziehen zwischen Hell und Dunkel. Immer sorgenfreie Menschen sind selten wie die Blaue Mauritius. Im Grunde sind Menschen, die das Schwere, das Dunkle, die Schattenseiten des Lebens verdrängen wollen, nicht mein Fall. Es lebt sich leicht, wenn man über alles Elend hinwegsieht, solange es einem selbst gut geht. Aber wehe, andere verhalten sich dann so, wenn es ihnen schlecht geht! Wer das Seufzen seines Nächsten nicht hört, ist kein menschlicher Mensch. Apostel Paulus spricht im Römerbrief (8,22) vom Leid der Schöpfung, die auf Erlösung wartet. Meint er auch die Tiere und die Pflanzen? Natürlich! Sie gehören zu uns, sie ernähren uns. Wir leben nicht nur von Kunstprodukten der Industrie. Hinter oder unter der Industrie steht die Schöpfung, die Natur. Sie ist bedroht und manipuliert und unterdrückt. Wenn wir uns das Leiden der Tiere in den engen Transportwagen vorstellen. Tierhaltung auf engstem Raum. Kilometerlange, gewaltige Schleppnetze in den Meeren. Wenn wir uns das vor Augen führen, wird uns das Elend bewusst, von dem der Apostel Paulus sagt, dass die ganze Schöpfung auf Erlösung wartet, dass sie eine Erneuerung erstrebt. Was geschieht, wenn wir von der Vergänglichkeit reden, von Sterben und Tod und vom Seufzen der Schöpfung? Von Völkern, die trauern, von der Schöpfung, die stöhnt oder von den Tränen der Novembergestalt in uns? Im Grunde sehen wir: Die Welt liegt in den Wehen und wartet auf die Geburt einer neuen Zeit. Auf das Licht, das diese Dämmerwelt durchbricht. Das ist eine Hoffnung, die uns immer wieder in die flatternde Seele ihr „Fürchte dich nicht“ hineinspricht. Eine Hoffnung, die uns eine Zukunftsschau ermöglicht. Die Zukunftsschau des Glaubens. Sie sagt: Am Ende ist alles Schmerzende, Dunkle und Belastende abgetan. Was für eine Hoffnung! Ein Trostgottesdienst für Trauernde findet am Heiligabend um 16 Uhr in der Friedhofskapelle Berlin-Mariendorf statt. Telefon (030)755151620