Es machte ihn schlagartig berühmt: 1990 nahm Uwe Holmer die Honeckers in seinem Pfarrhaus auf. Das Kirchenasyl war umstritten. Doch für Holmer christlich-konsequent. Jetzt ist er mit 94 Jahren in Serrahn verstorben.
Uwe Holmer war ein zutiefst bescheidener und frommer Mensch. Keiner, der Rummel um seine Person mochte. Doch den gab es. Im Januar 1990 stand er schlagartig im internationalen Rampenlicht: Als er und seine Ehefrau auf Bitten der evangelischen Kirchenleitung das Ehepaar Erich und Margot Honecker in ihrem Pfarrhaus im brandenburgischen Lobetal für zehn Wochen aufnahmen. Die Sache war nicht unumstritten. Doch Holmer schrieb damals mit seinem Sinn für Vergebung Geschichte. Am Montagabend starb der evangelische Theologe im Alter von 94 Jahren in Serrahn bei Rostock, wo er seit 1992 mit seiner Familie lebte.
Holmer leitete ab 1983 in Lobetal die diakonische Einrichtung Hoffnungstaler Anstalten, die größte Behinderteneinrichtung in der DDR. Im Januar 1990 war die Stimmung im Land aufgeheizt. Für den krebskranken Honecker und seine Frau fand sich keine andere sichere Bleibe als im Pfarrhaus auf dem Anstaltsgelände. Insgesamt zehn Wochen dauerte das ungewöhnliche Kirchenasyl. Nicht nur Journalisten belagerten das Gelände, auch zahlreiche Demonstrierende. Sie hielten Schilder mit der Aufschrift “Keine Gnade für Honecker” hoch. Die Anfeindungen richteten sich auch gegen Holmer. Viele ostdeutsche Christen hatten kein Verständnis dafür, dass der Pastor ausgerechnet den Mann aufnahm, unter dessen Repressalien auch Kirchenmitglieder gelitten hatten.
Holmers Familie hatte das selbst erfahren. Sie wurde von der Stasi bespitzelt. Für acht ihrer zehn Kinder stellten die Holmers einen Antrag auf den Besuch der Erweiterten Oberschule. “Keines von ihnen wurde angenommen trotz guter und bester Zensuren. Wir haben jedoch darüber keine Bitterkeit im Herzen, da wir in der Nachfolge unseres Herrn wirklich vergeben haben. Auch haben wir erlebt, dass Gott unsere Kinder auch ohne Abitur freundlich geführt hat”, schreibt Holmer in seiner Biografie mit dem Titel “Der Mann, bei dem Honecker wohnte”.
Die Frömmigkeit, die aus seinen Worten spricht, mag irritierend wirken. Doch sie ist es, die den Menschen Uwe Holmer ausmacht, der 1929 in Wismar zur Welt kam und der sein ganzes Leben versuchte, den Glauben immer als Richtschnur seines Handelns zu nehmen, auch wenn er dafür, wie er selber schreibt, “manches Mal angesehen wurde als ‘armer, weltfremder Tropf'”.
Auch die Aufnahme der Honeckers in seinem Pfarrhaus resultierte aus seinen Glaubensüberzeugungen. So schreibt Holmer in seinen Lebenserinnerungen: “Wir bedachten, dass wir an jedem Sonntag in unserer voll besetzten Kirche im Vaterunser beten: ‘Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.’ Könnten wir das ehrlich weiterbeten, wenn wir das nicht auch praktizieren?”
Noch etwas Anderes war ihm wichtig: “Dieses Argument, dass wir die neue Epoche in unserem Land nicht mit Hass und Streit beginnen sollten, weil es das Miteinander noch schwerer machen würde und weil die zentrale christliche Botschaft die Vergebung und Versöhnung ist, hat vielen geholfen, uns besser zu verstehen.”
Nach seinem Theologie-Studium war Holmer zunächst bis 1967 Landpfarrer im mecklenburgischen Leussow, anschließend Direktor der Bibelschule Falkenberg in Berlin. 1983 wurde er dann Leiter der Hoffnungstaler Anstalten. Nach der deutschen Wiedervereinigung gehörte er zum Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz, einem Netzwerk konservativer Protestanten. Im Ruhestand kehrte Holmer nach Mecklenburg zurück und engagierte sich in der diakonischen Rehaklinik für Suchtkranke in Serrahn. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er erneut, eine Witwe mit fünf Kindern.