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Unbeliebte Architekten der Artenvielfalt

Anfang November 1966 kamen die bestellten russischen Biber im Frankfurter Zoo an und Direktor Bernhard Grzimek schickte sie per Expresszug nach Bayern. Hubert Weinzierl, Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern, siedelte sie mit Artgenossen aus Polen, Frankreich und Skandinavien an der mittleren Donau an, 120 insgesamt – dort, wo vor rund 100 Jahren der letzte bayerische Biber geschossen worden war. Am 7. Juni 1969 sichtete man die ersten zwei Jungbiber. Die Wiederansiedlung war geglückt.

Castor Fiber, wie der Europäische/Eurasische Biber bei Biologen heißt, war damals in Deutschland fast ausgerottet. Sein Pelz mit 23.000 Haaren pro Quadratzentimeter war gefragt, ebenso sein Drüsensekret Castoreum, das als Allheilmittel „Bibergeil“ begehrt war. Nachdem der Papst auf dem Konzil von Konstanz (1414-18) den Biber zum Fisch erklärt und als Fastenspeise freigegeben hatte, wurde dieser auch wegen seines wohlschmeckenden Fleisches bejagt.

Heute leben etwa 25.000 Biber in 7.500 bayerischen Revieren, rund 7.500 in Baden-Württemberg und mehr als 2.000 in Hessen, wo 1987/88 im Spessart an der Jossa 18 Elbe-Biber angesiedelt wurden, die in der DDR überlebt hatten. Rund 40.000 Tiere sind es in ganz Deutschland, 1,2 Millionen europaweit. Allein auf Berliner Gemarkung wurden 50 Biberreviere gezählt: Es ist der größte Erfolg des Artenschutzes hierzulande.

Wären da nicht die sogenannten „Problembiber“, die sich statt an Mädesüß, Pestwurz, Blutweiderich und Knöterich am Ufer lieber an Mais und Zuckerüben, Raps und Getreide in Ufernähe gütlich tun oder Felder und Weiden mit ihren Dammbauten unter Wasser setzen. Eine Studie des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei ergab: Bei 75 Prozent der befragten Landwirte löst der Biber Wutgefühle aus.

Biologin Sonja Jähnig hat gemeinsam mit drei Kollegen an der Studie über das „Streittier“ Biber mitgewirkt. Sie nennt die Tiere „positive Störenfriede“. Sollen wir sie also weiter bauen lassen? „Ja natürlich“, entgegnet die Ökologin und Hydrobiologin am Telefon. „Sie verändern die Landschaft zum Positiven hin und generieren Vielfalt.“

Biber fällen Bäume und bauen Dämme, um die Wasserhöhe eines Bachs auf etwa 70 Zentimeter zu halten, damit der Eingang zu ihrem Bau geschützt unter der Wasseroberfläche liegt. Dadurch staut sich das Fließgewässer und verbindet zwei Systeme: Land und Wasser.

Das helfe zum einen beim Hochwasserschutz, denn, so Jähnig, „wenn sich das Wasser ausbreiten kann, reduziert sich die Hochwasserspitze“. Viele weitere Tierarten profitieren von der amphibischen Biberlandschaft. Mit „Meister Bockert“, wie der Biber in der Fabel heißt, sind Schwarzstörche und Kolkraben in den hessischen Spessart zurückgekehrt; Eisvögel, Mosaik- und Azurjungfern, Plattbauch und tintenblaue Prachtlibellen schwirren über die aufgestauten Tümpel.

Nur den Forellen behagt das nicht; sie brauchen die Wasserströmung. Das weiß der Fischökologe Christian Wolter, der an der Studie mitgewirkt hat: „Tieflandbäche mit Forellen sind aus unserer Kulturlandschaft ohnehin weitgehend verschwunden, sodass jeder durch einen Biberdamm veränderte Bach einen schweren Verlust für die regionale Fischfauna bedeutet.“

Und warum meldet das Bayerische Landesamt für Umwelt dann eine 80-mal höhere Fischdichte in der Nähe von Biberbauen? Es sind die Arten, die Stillwasser bevorzugen: Karpfen, Brassen, Plötze, Schleie, Karauschen. Sie finden im aufgestauten Wasser mehr Nahrung.

Dennoch werden in Bayern jährlich etwa 2.000 Biber „entnommen“, also getötet, wenn sich Konflikte nicht anders lösen lassen, wie es heißt. Dort gibt es auch einen Fonds zum Ausgleich von Schäden, die Biber angerichtet haben.

Die Tiere sind durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU streng geschützt, gelten aber europaweit nicht als gefährdet. In Deutschland stehen sie laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) auf der Vorwarnliste. Das BfN rät Landwirten zu einem 20 bis 30 Meter breiten Uferrandstreifen mit Weichhölzern wie Weiden, Pappeln und Erlen. Konflikte mit Landwirten entstehen immer dort, wo solche Uferrandstreifen fehlen.

Einen bundesweiten Biber-Managementplan gibt es nicht. „Das ist vor allem Ländersache“, erklärt Jähnig. In Hessen gibt es nach Auskunft von Mark Harthun, dem Biberexperten des zuständigen Landesverbands des Naturschutzbunds Deutschland, schon in jedem Forstamt einen Ansprechpartner. Aber ein Rechtsanspruch für Landwirte auf Entschädigung existiere nicht. Richtlinien des Hessischen Landwirtschaftsministeriums seien aber in Vorbereitung: „Auf der Basis von Kulanz.“

Vor zwei Jahren sei für Hessen auch eine Kooperationsvereinbarung zwischen Landwirten und Naturschützern ausgehandelt worden: 1.000 Gewässerkilometer pro Jahr sollen einen zehn Meter breiten Uferrandstreifen erhalten – mehr Raum für einen Architekten der biologischen Vielfalt.