Sein Name ist mit Lübeck verbunden wie die steife Brise mit dem Norden: Thomas Mann (1875-1955) wurde vor 150 Jahren geboren, am 6. Juni 1875. Seine Heimatstadt feiert den Geburtstag des Literatur-Nobelpreisträgers unter anderem mit einer zentralen Ausstellung im St. Annen-Museum – denn das Buddenbrookhaus ist wegen Umbaus nach wie vor geschlossen. Eine Neueröffnung ist nach einigen Querelen in der Lübecker Bürgerschaft um den Durchbruch eines Gewölbekellers inzwischen auf 2030 verschoben. Die Jubiläumsschau hat das Thema „Thomas Mann und die Demokratie“.
Mit Blick auf die erste Hälfte von Manns Schriftstellerkarriere könnte der Titel allerdings auch ironisch wirken. Thomas Mann hatte 1914 fanatisch den Ersten Weltkrieg begrüßt und die Monarchie als einzig wahre Staatsform bezeichnet. Das Massensterben auf dem Kriegsfeld ließ den damals 39-Jährigen, der von einem Arzt für kriegsuntauglich befunden worden war, offenbar kalt. Im Oktober 1918 bekannte er sich in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ auf mehr als 600 Seiten zum reaktionären Lager.
Thomas Mann: Verkörperung eines nicht-nationalsozialistischen Deutschlands
Nach der Kriegsniederlage vollzog der Autor jedoch eine Kehrtwende. Er wurde Anhänger der Weimarer Republik und glühender Verfechter der Demokratie. In der NS-Zeit hielt er aus dem Exil in den USA 55 Radioansprachen an das deutsche Volk, die von der britischen BBC ausgestrahlt wurden. In seinen Reden ging er mit den Deutschen hart ins Gericht und forderte zum Kampf gegen Hitler auf, den er als „blutigen Komödianten“ bezeichnete. „Die Hölle, Deutsche, kam über euch, als diese Führer über euch kamen“, sagte Mann etwa im November 1941. Der Dichter im Exil wurde zur Verkörperung eines nicht-nationalsozialistischen Deutschlands.

Gerade in der politischen Wende, wegen der Thomas Mann bei etlichen Deutschen zunächst angefeindet wurde, sieht die Leiterin des Lübecker Buddenbrookhauses, Caren Heuer, die Aktualität des Autors. Mann habe die Vergangenheit nie verklärt. Stattdessen habe er sich eine flexible politische Haltung bewahrt, für die er bis zu seinem Tod eingetreten sei. „Das können wir noch heute von ihm lernen.“
1929 Nobelpreis für Buddenbrooks
Thomas Mann, der als fauler Schüler galt, begann früh mit dem Schreiben und veröffentlichte 43 Romane und Erzählungen, die in etwa 50 Sprachen übersetzt wurden. Als Schriftsteller war er bekannt für seine Strenge mit sich selbst und diszipliniertes, akribisches Arbeiten.
In der Regel basierten seine Werke auf persönlichen Begegnungen. In seinem ersten Roman „Buddenbrooks“ (1901), für den er 1929 den Nobelpreis bekam, skizzierte er den Niedergang einer Lübecker Kaufmannsfamilie. Einige Bewohner der Hansestadt erkannten sich in den detailreich und teilweise ironisch geschilderten Protagonisten wieder und waren von da an auf Thomas Mann nicht mehr gut zu sprechen.
Homoerotische Schwärmereien in „Der Tod in Venedig“
1905 heiratete er die aus München stammende Jüdin Katia Pringsheim. Das Paar bekam sechs Kinder, die unter ihrem berühmten und patriarchischen Vater teils stark litten. In seinen Tagebüchern hatte Mann schon vor seiner Ehe homoerotische Schwärmereien dokumentiert, die er nur in seinen Werken auslebte. Beispielhaft steht dafür die Novelle „Der Tod in Venedig“ (1911), in der sich ein alternder Schriftsteller während seines Urlaubs in einen Jüngling verliebt.
Das Werk von Thomas Mann ist alles andere als leichte Kost. Sein gefeierter Roman „Der Zauberberg“ (1924) umfasst mehr als 1.000 Seiten, auf denen er sich mit zentralen Fragen des Glaubens, der Wissenschaft und der Politik auseinandersetzt. Als Stilmittel liebte er Schachtelsätze. Der vermutlich längste steht mit 347 Wörtern in seinem Roman „Die Geschichten Jaakobs“ (1933), dem ersten Teil seines Werks „Joseph und seine Brüder“. Dass der Leser im Wörter- und Kommata-Gemenge den inhaltlichen Faden nicht verliert, zeugt ebenfalls von Manns außerordentlichem Schreibtalent.
Thomas Mann: „Auch heute haut er mit seiner Wortgewalt die Leser um“
Ohne genaue Verkaufszahlen zu nennen, spricht der Fischer Verlag, der noch die Rechte an Manns Werken hat, im Jubiläumsjahr von einer Verdoppelung der Umsätze. „Er war auf der Leipziger Buchmesse der am meisten verkaufte Autor an unserem Stand“, erklärte Pressesprecherin Julia Giordano auf epd-Nachfrage. Besonders gefragt seien „Der Tod in Venedig“/„Tonio Kröger“, „Buddenbrooks“ und „Zauberberg“.
Caren Heuer wundert das nicht: „Auch heute haut er mit seiner Wortgewalt die Leser um.“ Als Einstieg empfehle sie gern die Novelle „Mario und der Zauberer“. Die sei klar, auf den Punkt und mit 112 Seiten vergleichsweise kurz.
Mit „Behagensminderung“ und „Verdauungssorgen“ ins Thomas-Mann-Jahr:
Am 11. Dezember erscheint „Mit Thomas Mann durch das Jahr“: 365 Kürzestzitate aus den Tagebüchern, eins für jeden Tag, mit einem Nachwort darüber, warum sie so seltsam sind.
Mehr hier: https://t.co/JHkmBjyBZJ pic.twitter.com/3dmc4XOERQ
— Felix Lindner (@focusabonnent) April 18, 2024
Obwohl soziale Netzwerke zu den Lebzeiten von Thomas Mann noch in weiter Ferne lagen, lässt er sich auch dort vermarkten. Zwischen 2022 und 2023 postete der Germanist Felix Lindner unter dem Account „Thomas Mann daily“ auf der Social-Media-Plattform „X“ ein Jahr lang täglich einen Eintrag aus den Tagebüchern des Autors.