Wenn sich die Auschwitz-Befreiung am Montag zum 80. Mal jährt, versuchen dem nicht alle, aber die meisten Sender und Portale gerecht zu werden. Ein Blick ins Erinnerungsprogramm.
Des Undenkbaren zu gedenken ist ein schwieriges Unterfangen der Erinnerungskultur. Denn wie bitte schön sollen Fernsehsender, Streamingdienste, Mediatheken adäquat ein “Jubiläum” begehen, dessen Ursprung zwar Licht ins Dunkel der zwölf finstersten Jahre seit Menschengedenken brachte, zugleich jedoch aller Welt vor Augen führte, wie tief unsere Spezies sinken kann? Am Montag vor genau 80 Jahren wurde Auschwitz befreit, ein Lager zur industriellen Vernichtung von mindestens einer Million Jüdinnen und Juden, aber auch von unzähligen anderen, die das Deutschland jener Tage für lebensunwert erachtete und ermordete.
Die meisten Kanäle – ob linear oder digital – passen ihr Programmangebot dieser bestialischen Tat an. Wenn auch bei weitem nicht alle. Sat1 und Pro7, Vox und Kabel1, RTL2 und Tele5, aber auch die Dritten WDR, SWR, HR, RBB, ja selbst 3sat oder ZDFneo, sind zumindest linear völlig frei von jeder Form der Rückbesinnung. Und falls die zwölf Dschungelcamp-Bewohner zwischen Gossip und Maden nicht kurz mal über den 27. Januar 1945 reden, ignoriert ihn auch der kommerzielle Marktführer RTL komplett. Wobei man fairerweise ergänzen muss, dass einige Sender thematisch passende Filme oder Dokus in den letzten Tagen und Wochen bereits im Programm hatten.
Insgesamt lässt sich feststellen: Das Angebot ist größer als die Nachfrage. Schließlich geht sogar beim Kika eine “Sendung mit der Maus” dem Stolperstein des Schoah-Opfers Felix Nussbaum nach. Und das Erste, per Staatsauftrag zur informationellen Grundversorgung verpflichtet, überträgt Montagnachmittag von vier bis sechs die offizielle Gedenkfeier aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Danach läuft bei der ARD in der Primetime zwar Unterhaltung, genauer gesagt eine Folge “Morden im Norden”. Um 22.45 Uhr aber zeigt sie mit “Verfolgt”, der Biografie des Holocaustüberlebenden Daniel Dattel, ein komplexes Werk individueller Vergangenheitsbewältigung. Auch sonst dominiert sachliche Erinnerung den Gedenktag. Initiiert vom Haus des Dokumentarfilms Stuttgart zum Beispiel läuft “Die Ermittlung” nicht nur bundesweit in zahllosen Programmkinos. Um 21.45 Uhr zeigt auch Arte (ebenso wie ARD-Mediathek und Sky) das elfteilige Experiment, den ersten Auschwitz-Prozess mit Reiner Bock als Richter von 18 Angeklagten vor 39 Zeugen auf offener Bühne abzufilmen. Das starbesetzte, schwerverdauliche, sehr erhellende Theaterstück krönt einen Schwerpunkt, mit dem der deutsch-französische Kulturkanal die Gedenktage schon seit 21. Januar digital begleitet.
Das ZDF widmet sich am 27. Januar ab der zweiten Primetime nach 22.15 Uhr fiktional dem Gedenken. Zunächst brilliert Anthony Hopkins am Stichtag als ergrauter Juden-Retter im britischen Biopic “One Life”, bevor Alexander Fehlings Spielfilm “Am Ende kommen Touristen” zwei Stunden später ins Auschwitz anno 2007 reist. Die ZDF-Mediathek bietet zusätzlich originelle Dokumentationen. Über den Antisemitismus von heute zum Beispiel (“80 Jahre nach Auschwitz”), jüdischen Widerstand vor Kriegsende (“Nicht wie Lämmer zur Schlachtbank”) oder die Rückkehr eines alliierten Befreiers danach (“Roadtrip 1945”)
Den großartigen Dreiteiler “Überleben in der Hölle” dagegen über Berührungspunkte verschiedener Auschwitz-Biografien vom Häftling bis Josef Mengele, hat das Zweite inklusive Interview mit der 99-jährigen Anita Lasker-Wallfisch an ZDFinfo delegiert. Dafür berichtet es am Mittag des 29. Januar live von der Gedenkstunde aus dem Bundestag. Die Dritten Programme, inhaltlich normalerweise flexibler, haben indes nur sporadisch Gedenken im Angebot.
Der MDR etwa zeigt in ostdeutscher Tradition um 22.10 Uhr die tschechische Ghetto-Komödie “Jakob der Lügner” von 1975. Eine halbe Stunde später verlängert der NDR sein Kultur-Journal auf volle vier Stunden, unter anderem mit Theodor Kotullas preisgekröntem Drama “Aus einem deutschen Leben” mit dem jungen Götz George als Weltkriegsveteran, der sich zielstrebig zum Auschwitz-Kommandanten hocharbeitet. Parallel widmet sich der BR dem abseitigen, aber kraftvollen Thema “Kunst im Todeslager”. Und in der ARD-Mediathek wäre noch die Spurensuche “War mein Uropa Nazi?” zu erwähnen, bevor sich ein Loch auftut: bei den Streamingdiensten.
Denn dort nehmen abseits des History Channels, der gewissermaßen organisch Filme wie das Dachauer Gedenkstätten-Porträt “Heute ist das Gestern von morgen” vorführt, offenbar nur Sky und seine Plattform Wow zielgerichtet am 80. Jahrestag teil. Neben der eingangs erwähnten Theater-Adaption “Die Ermittlung” etwa mit Steven Spielbergs schwarz-weißem Meisterwerk “Schindler’s Liste”, der Eigenproduktion “The Tattooist of Auschwitz” mit Harvey Keitel als Hauptdarsteller in einer wahren Liebesgeschichte im KZ oder dem oscarprämierten Alltagsszenario “The Zone of Interest” über Frau (Sandra Hüller) und Kinder des Birkenau-Schlächters Rudolf Höß.
Ungewollt dargestellt wurde darin offenbar auch dessen Sohn Hans Jürgen, der zeitgleich im HBO-Dokumentarfilm “Schatten des Kommandanten” versucht, seinen Vater zu begreifen. Ein Unterfangen, das sogar noch schwieriger ist, als dem schlimmsten aller Menschheitsverbrechen im Fernsehprogramm eines einzigen Tages gerecht zu werden. Immerhin: viele Sender und Portale probieren es aufrichtig.