“Es braucht wieder Vorbilder in der Welt”, mahnt die frühere Leiterin des ARD-Büros in Teheran in ihrer Weltethos-Rede in Tübingen. Sie sieht Deutschland in einer Vorreiterrolle – bei Demokratie und Menschenrechten.
Die deutsch-iranische Journalistin Natalie Amiri sieht Deutschland gegenwärtig als demokratisches Vorbild für die Welt. “Deutschland ist im Moment die vielleicht wichtigste, funktionierende Demokratie”, sagte die Moderatorin der ARD-Sendung “Weltspiegel” am Montagabend in ihrer Weltethos-Rede in Tübingen laut Manuskript. “Wir haben die Aufgabe die Demokratie zu bewahren. Und als Vorbild zu fungieren”, betonte Amiri, die viele Jahre im Iran arbeitete. “Denn es braucht wieder Vorbilder in der Welt.”
Demokratie lebe nicht nur in Institutionen, sondern aus dem gesellschaftlichen Miteinander – “im Blickkontakt, im Zuhören, im Nachgeben”, sagte Amiri. Es gelte, das Menschliche wieder in den Mittelpunkt zu stellen und für die Würde eines jeden einzelnen Menschen einzutreten. “Was, wenn wir nicht mehr dem Lauten, Kalten, Gierigen nacheifern – sondern dem Zarten, Achtsamen, Menschlichen?”, fragte die Autorin.
Derzeit stünden Demokratie, Frieden und Freiheit auf dem Spiel, sagte Amiri. “Nicht weil sie einfach verschwinden, sondern weil wir verlernt haben, sie zu nähren.” Soziale Ungleichheit, Klimazerstörung und autoritäre Versuchungen betäubten die Menschen. “Wissen Sie, was die Menschen im Iran investieren, um so leben zu dürfen wie wir?”, fragte Amiri die Zuhörer. “Sie riskieren ihr Leben, sie sind bereit zu sterben, nur um so zu leben wie wir”, sagte Amiri.
Gegen “menschenverachtende Herrscher” könne man nur standhalten, “wenn wir glaubwürdig bleiben, indem wir unsere Werte nicht verkaufen”, betonte Amiri. “Indem Menschenrechte nicht nur Worthülsen in Reden von Politikern sind.”
Amiri leitete von 2015 bis 2020 das ARD-Büro in Teheran und wurde zweimal als Journalistin des Jahres ausgezeichnet. 2024 erhielt sie den Walter-Lübcke-Demokratie-Preis. Sie sprach nun zum Thema “Gefährdete Werte: Menschenrechte in einer destabilisierten Welt”. Es war die 16. Weltethos-Rede – veranstaltet von der Universität Tübingen und der Stiftung Weltethos.
Seit dem Jahr 2000 lädt die vom katholischen Theologen Hans Küng (1928-2021) gegründete Stiftung “herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens” dazu ein, aus unterschiedlichen Blickwinkeln zur Weltethos-Thematik Stellung zu nehmen. Bisher kamen unter anderen Kofi Annan, Desmond Tutu, Helmut Schmidt und zuletzt 2019 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Küng vertrat in seinem Buch “Projekt Weltethos” die These, dass Religionen nur dann einen Beitrag zum Frieden leisten können, wenn sie sich auf einen Konsens über Werte, Maßstäbe und Grundhaltungen besinnen.