Ein wissbegieriger, frommer Mönch – inspiriert von einem heidnischen Philosophen und islamischen Gelehrten – war jahrhundertelang Star der katholischen Philosophie. Nun jährt sich Thomas von Aquins Todestag zum 750. Mal.
Jahrhundertelang prägten Thomas von Aquin und sein Denken die katholische Theologie. Sein Ziel: das große Ganze denken, die Wahrheit erkennen und verständlich vermitteln. Dabei sollte der um den Neujahrstag 1225 geborene Sprössling des Grafen Landulf von Aquino, Verwandter der hohenstaufischen Kaiserfamilie, kirchliche Karriere machen.
So geben die Eltern den Fünfjährigen ins nahe gelegene Benediktinerkloster Montecassino. Als 14-Jähriger wird Tommaso d’Aquino zum Studium nach Neapel geschickt. Dort tritt er 17-jährig in den noch jungen Dominikanerorden ein – und durchkreuzt so die Pläne seiner Familie. Die sähen ihn lieber als Abt auf dem berühmten Montecassino. Thomas flieht, wird von seinen Brüdern für zwei Jahre gefangengesetzt, bleibt stur und setzt sich durch. 1245 darf er nach Paris, Europas größte Stadt mit rund 80.000 Einwohnern und der renommiertesten Universität.
Dort trifft Thomas auf Albert von Lauingen, der als Universalgelehrter bald Albertus Magnus genannt wird und seinen begabten Schüler 1248 mit nach Köln nimmt, wo gerade der Grundstein des Kölner Doms gelegt worden ist. In Europas Städten bilden zunehmend selbstbewusste Bürger ein Gegengewicht zu Klerikern und Fürsten. Sie bringen Geld in die Städte – von dem Bettelorden wie Dominikaner und Franziskaner gut leben können. Für deren Buß- und Unterweisungspredigten bieten umgekehrt Städter ein besseres Publikum.
An den Universitäten greift derweil eine geistesgeschichtliche Revolution um sich: das Denken des vergessenen griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.). Nach Europa gelangt sind dessen Schriften durch arabische Gelehrte wie Ibn Said (980-1037), im Westen Avicenna genannt, und Ibn Ruschd (Averroes, 1126-1198) aus dem maurischen Spanien, wo auch der jüdische Aristoteles-Experte Mosche ben Maimon (Maimonides, 1135-1204) wirkte.
Mit Aristoteles tritt dem mittelalterlichen Christentum erstmals ein Wissenschaftssystem gegenüber, das ohne religiöse Offenbarung entstanden war. Aristoteles sah die Welt weniger symbolisch-religiös, sondern natürlich-konkret. Das passt gut in die Weltlichkeit der Städte. Die Philosophie des alten Griechen könnte, so hoffen Leute wie Albertus und Thomas, Fundament einer christlichen Philosophie werden – Scholastik genannt. Diese sollte Welt, Menschen und Gott mittels rationaler, der Glaubenslehre nicht widersprechender Begriffe erfassen und erläutern.
Nachdem Albertus und andere bis 1268 eine neue lateinische Übersetzung des Aristoteles vorgelegt haben, ist das Fundament für eine Synthese antiker Philosophie mit christlicher Glaubenslehre bereitet. Damit entsteht ein Ideal von Wissenschaft und Rationalität, das bis heute für europäische Kultur, Wissenschaft und Literatur prägend ist. Die Werke des Thomas, so der Historiker Hans Joachim Störig, “zeichnen sich durch übersichtliche Gliederung und durchsichtigen Stil aus”.
Wesentlich für Thomas’ Denken ist eine saubere Unterscheidung zwischen Wissen und Glauben. So wird Wirklichkeit nicht bloß durch menschliches Denken erzeugt. Vielmehr ist das, was wir konkret erkennen, objektiv und wahr. Über dieser Sphäre jedoch wölbt sich das Reich übernatürlicher Wahrheit, dem natürlichen Denken entzogen.
Die Geheimnisse göttlicher Offenbarung – Gottes Dreieinigkeit, seine Menschwerdung, die Auferstehung der Toten – können demnach nur geglaubt werden. Die christliche Wahrheit, so Thomas, ist zwar übervernünftig, aber nicht widervernünftig. Da alle Wahrheit von Gott kommt, müssten Argumente, die gegen den Glauben sprechen, mit vernünftigen Mitteln entwertet werden können. Genau das versucht er.
Seiner Ansicht nach kann eine Existenz Gottes nur mit der Vernunft erkannt werden. Wenn alles in der Natur in Bewegung ist, wenn alles eine Ursache hat – woher stammt der erste Impuls? Ganz am Anfang muss ein erster, selbst unbewegter Beweger, eine erste Wirkursache stehen, “die alle Gott nennen”. Ein anderes Argument: Alles in der Natur hat Ziel und Sinn, auch wenn die Dinge oder Lebewesen dies nicht immer selbst erkennen. Folglich sind sie von einem Weltenlenker bewusst konstruiert.
Die Jahre von 1252 bis 1272 sind die Hochzeit seines Schaffens in Paris, Italien und wieder Paris. Die letzten beiden Lebensjahre verbringt Thomas wieder in Neapel. Von dort reist er im Sommer 1274 zum Zweiten Konzil von Lyon. Auf der Reise stirbt er am 7. März 1274 im Kloster Fossanova südöstlich von Rom.
1322 wird der Denker aus Aquino heiliggesprochen. 1879 noch wird der Thomismus zur offiziellen Philosophie der katholischen Kirche erhoben, und 1931 das Studium des Thomas in katholischen Seminaren und Universitäten für verpflichtend erklärt.
Angesichts von Aufklärung, Religionskritik und aufstrebenden Naturwissenschaften versuchen katholische Philosophen, die Entwicklungen der Moderne mit den von Thomas geschaffenen Grundlagen des katholischen Weltbildes zu vereinigen. Was ihnen nur bedingt gelingt. Erst unter Papst Paul VI. (1963-1978) büßt Thomas von Aquin seine Vorherrschaft im katholischen Denken ein.