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Theatergenie, “Affe der Macht”, Retter von Verfolgten

Als er 1934 Intendant des Preußischen Staatsschauspiels in Berlin wurde, hatte Gustaf Gründgens (1899-1963) alles erreicht, was ein Theatermann in Deutschland erreichen konnte. Die staatlichen Bühnen führte er während der NS-Diktatur zu ungeahntem Glanz. Der Nationalsozialist und preußische Ministerpräsident Hermann Göring, dem die Staatstheater direkt unterstanden, hatte Gründgens das Amt des Intendanten angeboten. Er bewunderte ihn als Schauspieler und hielt seine Hand über ihn.

Gustaf Gründgens, geboren vor 125 Jahren am 22. Dezember 1899 in Düsseldorf, war zugleich Theaterlegende, Retter von NS-Verfolgten und Künstler im Dienst der Nazidiktatur – die Ambivalenz lässt sich nicht auflösen.

Die Rolle seines Lebens war das Böse in Person: Mephistopheles in Goethes „Faust“, den Gründgens erstmals 1932 und im Lauf seines Lebens rund 600-mal spielte. Dem Teufel, der mit Faust einen Pakt schließt, verlieh er schalkhafte, witzige Züge – mit weiß geschminktem Gesicht und charakteristischen Augenbrauen. 1957 kam in Hamburg „Faust I“ mit Gründgens als Mephisto heraus – seine berühmteste Inszenierung, die 1960 verfilmt wurde. Schon vorher war er immer wieder als durchtriebener Schurke auf der Bühne erfolgreich gewesen, auch im Film: als Gangster in „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang (1931).

Während der NS-Diktatur konnte Gründgens einerseits manchen Schauspielkollegen helfen, die Regimegegner, Juden oder mit einer Jüdin verheiratet waren. 1943 erreichte er, dass der Sänger und Schauspieler Ernst Busch, ein Kommunist, nicht zum Tode verurteilt wurde, sondern zu vier Jahren Zuchthaus. Die Bühne unter der Diktatur war für den Intendanten ein geschützter, berechenbarer Raum. Rückblickend sprach er von einem „Planquadrat“, auf dem er genau wusste, „wenn ich den Satz sage, geht hinten eine Tür auf, und eine Dame in einem grünen Kleid kommt herein – und nicht ein SS-Mann“.

Andererseits verhalf er den mörderischen Machthabern zu kulturellem Renommee und machte sie damit ein Stück weit salonfähig. Dabei war Gründgens selbst schon allein wegen seiner Homosexualität eindeutig gefährdet. Es war ein Tanz „auf dem Rasiermesser“, stellte Carl Zuckmayer später fest. Die Heirat mit der Kollegin Marianne Hoppe 1936 sollte dem Gerede über Gründgens sexuelle Orientierung entgegenwirken.

Der Theaterwissenschaftler und Gründgens-Biograf Thomas Blubacher spricht von einem „schillernd widersprüchlichen Menschen, der sicher als Nutznießer des Dritten Reiches betrachtet werden kann, der sich aber auch erfolgreich für Kollegen eingesetzt hat“.

Klaus Mann, ältester Sohn von Thomas Mann, kannte Gründgens gut, denn dieser war von 1926 bis 1929 mit Manns Schwester Erika verheiratet gewesen. In dem Roman „Mephisto“, 1936 im Exil erschienen, gibt Klaus Mann dem Schauspieler und Karrieristen Hendrik Höfgen deutliche Züge von Gründgens. Nach einer erfolgreichen Hamlet-Premiere lässt er in einem inneren Monolog den Hamlet zu seinem Darsteller – Höfgen – sagen, er sei „ein Affe der Macht und ein Clown zur Zerstreuung der Mörder“.

Höfgens Einsätze für verfolgte Kollegen sind im Roman auch „Rückversicherungen“, die er „sich ohne gar zu große Risiken leisten durfte“: für seine Reinwaschung, wenn das NS-Regime eines Tages nicht mehr bestehen sollte. Im Fall Gründgens war es 1946 Ernst Busch und anderen zu verdanken, dass er nach neun Monaten aus einem sowjetischen Internierungslager entlassen wurde. Nun konnte er in der Bundesrepublik erneut eine glänzende Karriere beginnen.

Wie aber konnte Gründgens im Faschismus künstlerisch bestehen? Hat er seinen Anspruch verraten? Keineswegs, meint Blubacher. Seine Klassikerinszenierungen in Verbindung mit höchster handwerklicher Professionalität waren ihm „eine Möglichkeit, den ‚heiligen Raum‘ des Theaters freizuhalten von nationalsozialistisch-propagandistischer Indienstnahme“, erklärt der Experte. Anerkennend urteilte später Theater-Kollege Fritz Kortner, der als Jude vor den Nazis fliehen musste, Gründgens habe zu den „Widerstandskämpfern gegen den Hitlerstil“ gehört.

Von Anfang an strebte Gründgens energisch nach oben. Nach Engagements in Halberstadt, Kiel, Hamburg und diversen Gastspielen kam er 1928 in die Kulturmetropole Berlin. Immer verhandelte er hart und entschlossen um hohe Gagen. Sein luxuriöser Lebensstil verschlang viel Geld. Der Arbeit ordnete Gründgens offenbar alles andere unter – menschliche Beziehungen und die eigene Gesundheit. „Ein Fanatiker der Präzision“, schrieb er über sich selbst, „ist er ein geschworener Feind alles Zufälligen, Unklaren und Unkontrollierbaren.“

Als Chef, so Blubacher, setzte er „auf Respekt und Disziplin, forderte Einsatz und Höchstleistungen von allen und duldete nicht die kleinste Nachlässigkeit.“ Nach dem Krieg wurde er in seiner Heimatstadt Düsseldorf Generalintendant des neu eröffneten Schauspielhauses, dann des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Am 7. Oktober 1963 starb Gustaf Gründgens auf einer Weltreise in der philippinischen Hauptstadt Manila an einer Überdosis Schlaftabletten.