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Suizid mit staatlicher Hilfe?

Das Bundesverwaltungsgericht sagt, dass unheilbar Kranken in Extremfällen der Zugang zu Medikamenten, die einen schmerzlosen Tod ermöglichen, nicht verwehrt werden darf. Das wirft Fragen auf

KNA/Jörg Loeffke

BERLIN/FRANKFURT A. M. – Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat eine neue Sterbehilfedebatte ausgelöst. Politiker, Verbände und Kirchen befürchten, dass die Leipziger Richter die Tür zu einem vom Staat unterstützten Suizid geöffnet haben. „Staatliche Behörden dürfen nicht zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötung werden“, erklärte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Die katholische Deutsche Bischofskonferenz warnte vor einem „staatlich assistierten Suizid“, und der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand sagte: „Todbringende Medikamente per Verwaltungsakt darf es nicht geben.“

Persönlichkeitsrecht als Begründung

Das Bundesverwaltungsgericht hatte zuvor geurteilt, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte schwer und unheilbar kranken Patienten in Extremfällen den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das eine schmerzlose Selbsttötung ermöglicht. Das gelte, wenn die Betroffenen „wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung steht“. Die Richter begründeten ihr Urteil mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Artikel 2 des Grundgesetzes (AZ: BVerwG 3 C 19.15).
Nach Ansicht von Brand ist der Richterspruch „nicht umsetzbar“. Der Staat könne nicht verpflichtet werden, sich an einem Suizid zu beteiligen, sagte er. Die SPD-Politikerin Kerstin Griese wies darauf hin, dass mit dem Urteil der Verkauf tödlicher Betäubungsmittel weiterhin grundsätzlich verboten bleibe. Somit „widerspricht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes nicht dem Beschluss des Bundestages“, sagte Griese, die mit Brand das im November 2015 beschlossene Gesetz zum Verbot von Sterbehilfe-Organisationen in Deutschland vorbereitet hatte. Der Paragraph 217 Strafgesetzbuch ahndet die grundsätzlich straffreie Suizidbeihilfe, wenn sie geschäftsmäßig, also auf Wiederholung angelegt, angeboten wird.
Auch nach Ansicht des Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, widerspricht das Urteil nicht geltendem Recht. Da das Urteil von „einem extremen Einzelfall“ spreche, sei ausgeschlossen, dass es nun angeführt werde, „um eine generell geschäftsmäßige Suizidassistenz zu legitimieren“, sagte der evangelische Theologe. Wie andere wartet auch er darauf, welche Kriterien das Gericht in der noch ausstehenden schriftlichen Urteilsbegründung für den „extremen Einzelfall“ festsetzen wird.
Ohne die schriftliche Begründung wollte sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nicht zu dem Gerichtsurteil äußern. Martin Hein, Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, der die Protestanten im Deutschen Ethikrat
vertritt, äußerte sich dennoch enttäuscht. Es sei schwierig, im Blick auf eine Selbsttötung mit der Menschenwürde zu argumentieren, sagte er: „Da begeben wir uns in eine Grauzone.“
Für die Deutsche Bischofskonferenz erklärte ihr Sprecher Matthias Kopp, das Urteil scheine sich über grundlegende Wertungen des Gesetzgebers hinwegzusetzen, indem es „die Tür zum staatlich assistierten Suizid – wenn auch nur einen Spalt weit – öffnet“. Damit müsse eine Behörde „ein Werturteil über die Zumutbarkeit des Lebens abgeben, das ihr bisher aus guten Gründen verwehrt ist“.

Gefahr für Solidarität mit Schwerkranken

Kritik kam auch von Interessenvertretungen. Die Leipziger Richter hätten den Staat verpflichtet, in bestimmten Fällen „die Selbsttötung für Bürger zu organisieren“, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, in MDR Aktuell. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin kritisierte die offenen Fragen. Aus Sicht des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands gefährdet die Entscheidung „die Solidarität mit schwerstkranken und sterbenden Menschen“.
Im konkreten Fall war die Ehefrau des Klägers seit einem Unfall im Jahr 2002 vom Hals abwärts gelähmt. Wegen dieser von ihr als unerträglich empfundenen Leidenssituation hatte sie im November 2004 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Erlaubnis zum Kauf einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels beantragt. Das Bundesinstitut lehnte dies unter Hinweis auf den Zweck des Betäubungsmittelgesetzes ab. Im Februar 2005 nahm sich die Frau mit Unterstützung eines Vereins für Sterbehilfe in der Schweiz das Leben.