Amal ist verzweifelt. Endlich hatte sie einen Studijob gefunden. Zwei Monate hat sie gearbeitet. Lohn hat sie nicht bekommen. Als sie sich beschwert, wird sie gekündigt. Es stellt sich heraus, dass ihr Arbeitgeber ihre Daten für Kreditkartenbetrug verwendet hat. Jetzt ermittelt auch noch die Polizei.
Amal (Name geändert) ist vor zwei Jahren aus Indien nach Cottbus gekommen, um Physik zu studieren. Jetzt steht sie in der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) und fragt um Rat. Sie möchte außerdem wissen, warum gerade ihr so etwas passieren musste. Sie habe doch niemandem etwas getan. Mithilfe der Uni schalten wir einen Anwalt ein. Die Ermittlungen werden schließlich eingestellt. Ihren Lohn hat sie nicht bekommen. Jetzt arbeitet sie Nachtschichten bei Amazon in Schönefeld. Immerhin bezahlt.
In Cottbus studieren 6800 Menschen aus 120 verschiedenen Ländern
Zum Wintersemester fangen 2000 junge Menschen neu an, in Cottbus zu studieren. Hunderte von ihnen sind noch ohne Wohnung. Cottbus boomt, aber manchmal hat man das Gefühl, die Stadt kommt mit ihrem eigenen Tempo nicht mit.
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Insgesamt studieren in Cottbus inzwischen 6800 Menschen aus 120 verschiedenen Ländern. 44 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland. Sie bekommen in der Regel kein BAföG und auch kein Stipendium. Ihr Studium finanzieren sie über Jobs im Tropical Island oder als Fahrer bei Lieferando in Berlin.
Studierendengemeinde kümmert sich um finanzielle Hilfe für den Abschluss
Viele von ihnen kommen in die ESG, weil sie einen Ort suchen, wo sie ihren Glauben und Gemeinschaft leben können. Sonntags findet regelmäßig ein „Feminist Bible Brunch“ statt, wo wir in die Geschichten von Eva, Hagar, Schifra und Pua eintauchen und unseren eigenen Geschichten auf die Spur kommen.
Internationale Studierende in finanzieller Not unterstützt die ESG seit vielen Jahren verlässlich mit einem speziellen Nothilfeprogramm von Brot für die Welt mit dem Ziel, ihnen einen Abschluss zu ermöglichen, damit sie in ihren Herkunftsländern einen Unterschied zum Besseren machen können.
Politische Stimmung im Osten geht nicht an Studierenden vorbei
Aber natürlich geht das, was in Cottbus und Brandenburg politisch passiert, nicht spurlos an den Studierenden vorüber – egal ob sie aus der Lausitz oder aus Nigeria kommen.
Kann man über Cottbus schreiben, ohne den Rechtsruck zu erwähnen, der gerade stattfindet? Ich kann es nicht. Aber es lohnt ein genauer Blick. Bei der Landtagswahl fand in Cottbus kein blauer Durchmarsch statt. Einer von zwei Wahlkreisen wurde von der SPD direkt gewonnen. Allerdings: Die politische Situation ist in weiten Teilen Brandenburgs so schlimm, dass wir uns über einen knappen Erfolg eines Demokraten freuen und diesen Erfolg keinesfalls für selbstverständlich halten.
Aber es war ein Erfolg und solche Erfolge kommen nicht von ungefähr, sondern sind das Ergebnis der hoch engagierten Arbeit der Zivilgesellschaft. Diese hat in der ESG eine Zuflucht gefunden. Christ:in sein bedeutet, Verantwortung für Gottes schöne Schöpfung und unser Zusammenleben zu übernehmen – gemeinsam mit ganz unterschiedlichen Menschen.
ESG Cottbus organisiert Demonstrationen gegen AfD
In der ESG Cottbus ist dies in diesem Jahr sehr intensiv gelungen. Hier haben Menschen die Demonstrationen anlässlich der Deportationspläne der AfD, der Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen organisiert. Und hier war Raum, um Verzweiflung und widerständige Hoffnung nach den Wahlergebnissen zu teilen.
Amal kommt nach drei Monaten wieder. Sie war nach langer Zeit wieder bei ihrer Familie in Indien zu Besuch. Mitgebracht hat sie ein gerahmtes Bild von Jesus: „Ich habe es zu Hause nicht mehr geschafft, es von meinem Priester segnen zu lassen. Pfarrer Lukas, können Sie es segnen?“
Lukas Pellio ist Studierendenpfarrer der Evangelischen Studierendengemeinde Cottbus.