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„Straßenarbeiter Gottes“

Martin Luther verglich Engel mit einer „Wagenburg“, die uns beschützt. Die Sehnsucht nach Engeln hat Konjunktur, besonders zu Weihnachten. Dahinter steckt oft der Wunsch, Gott nahe zu sein

Dieter Sell

Der kleine Bronzeengel in der Vitrine des kirchlichen Informationszentrums neben dem Bremer Dom ist ein echter Kassenschlager. Besonders jetzt in der Adventszeit kommen viele Kunden in den Laden und fragen nach dem Handschmeichler des ökumenischen Vereins „Andere Zeiten“. „Er wird oft für einen Krankenhausbesuch gekauft“, erzählt der Leiter des Zentrums, Pastor Hans-Jürgen Jung. „Und gerne für Täuflinge und Konfirmanden.“

Engel als Zeichen für die Gegenwart Gottes

Auch wenn viele Käufer darauf hoffen: Der Engel mit seinen segnenden Händen kann selbst nichts bewirken, wie Theologe Jung sagt: „Aber er erinnert an die tröstende Zusage Gottes aus dem Psalm 91: Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“ Besonders zu Weihnachten haben Engeldarstellungen Hochkonjunktur: Sie erinnern an die „himmlischen Heerscharen“, aus der Weihnachtsgeschichte.
In Bremen führt Engelexperte Ottmar Hinz vom Evangelischen Bildungswerk regelmäßig durch die Innenstadt, um staunenden Gruppen vom Engel-Reichtum der ansonsten eher spröden Hanseaten zu erzählen. Engel sind allgegenwärtig: Mal als ehrfurchtgebietende Sendboten oder süße Flügelgeister, als selige Musikanten oder gerüstete Heerscharen Gottes.
„Viele Menschen, die mich dabei begleiten, haben das Gefühl, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt als das, was wir sehen“, sagt Hinz. Einer Umfrage aus dem Jahr 2005 zufolge glauben 66 Prozent der Deutschen an Schutzengel, jedoch nur 64 Prozent an Gott.
Je weiter Gott in die Ferne rückt, desto näher scheinen die Engel. „Vor allem der esoterische Engelglaube ist eine Herausforderung für die Kirchen“, sagt die sächsische Pastorin Claudia Knepper. Sie hat für die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin Informationen über Engel zusammengetragen und ist überzeugt: „Im Glauben an Engel kommt eine Sehnsucht nach Geborgenheit, nach bedingungsloser Liebe und Annahme, Heilung und Sinnstiftung zum Ausdruck.“
Der Theologe, Kulturwissenschaftler und Engelforscher Uwe Wolff aus dem niedersächsischen Bad Salzdetfurth nennt Engel „Straßenarbeiter Gottes“, die nah bei den Menschen sind. Engel, sagt der 61-Jährige, vermittelten als Boten Gottes zwischen Himmel und Erde. „Gerade in unserer Zeit sind sie gefragte Ansprechpartner, weil sie in allen monotheistischen Religionen vorkommen und zwischen den Kulturen vermitteln können.“
Seit fast 30 Jahren beschäftigt er sich mit dem Glauben an die körperlosen Wesen und hat dabei erfahren: „Vielen Menschen geht es darum, mit den Engeln Gott nah zu sein.“ Engel seien Bilder für Gottes Wirken und Gegenwart. „Beispielsweise, wenn jemand nach dem Besuch im Krankenhaus geht und eine kleine Engelsfigur auf den Tisch legt mit den Worten: Der bleibt bei Ihnen.“
Wer an Engel glaubt, kennt Erschütterungen, meint Wolff. Der Glaube an Engel sei gleichzusetzen mit dem Glauben an die Kraft des Guten. Davon war schon der Reformator Martin Luther (1483-1546) vor 500 Jahren überzeugt, als er schrieb: „Wenn uns Gott nicht die lieben heiligen Engel zu Hütern gegeben hätte, welche wie eine Wagenburg um uns lagern, so wäre es bald mit uns aus.“
Doch längst werden mit Engeln auch Geschäfte gemacht. „Vieles ist esoterischer Humbug, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen“, ätzt Wolff und betont: „Engel sind immer umsonst. Und sie brauchen auch kein Medium, sie sind selber eins.“

Information: Uwe Wolff: Engel an deiner Krippe. Kösel-Verlag, 128 Seiten, 16,99 Euro. Verein „Andere Zeiten“: Ich geb dir einen Engel mit. Wachholtz Druck Neumünster, 98 Seiten, 10 Euro.