Der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang hat den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), einen neuen Versorgungssektor in der Langzeitpflege einzurichten, scharf kritisiert. Das sei „gut gemeint, aber im Ergebnis schädlich und sogar gefährlich“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) hingegen lobte die Pläne für eine Mischform zwischen ambulantem und stationärem Bereich.
Lauterbach bezeichnete diesen dritten Sektor als „eine Art der stambulanten Versorgung“. Das fehle bisher in Deutschland. Die neue Regelung soll dem Bundesgesundheitsminister zufolge Teil des Pflegekompetenzgesetzes werden, das er bis zum Sommer vorlegen will. Der Minister sagte, es gebe einen großen Bedarf an einer Langzeitpflege für Menschen, die nicht ins Heim wollten, aber aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit nicht mehr zu Hause leben könnten. „Stambulant“ würde in diesem Zusammenhang bedeuten: Man lebt in einer Wohnung, die pflegerisch rund um die Uhr so versorgt wird, dass Betroffene dort auch bei notwendigen höheren Pflegegraden bis zum Lebensende bleiben können.
„Stambulante“ Pflege sei rückwärtsgewandt
Der Gesundheitsökonom Rothgang sagt: „Die Problemanalyse ist absolut nachvollziehbar.“ Aber dafür mit der „stambulanten“ Pflege einen neuen Sektor zu schaffen, sei rückwärtsgewandt. Der Bremer Wissenschaftler befürchtet eine große Zahl an Abgrenzungsproblemen, die unter anderem mit Blick auf die Vergütung von Leistungen eine Flut juristischer Streitfälle auslösen könnten.

Hinweise darauf gebe es schon jetzt, beispielsweise in betreuten Wohnformen und in der teilstationären Tagespflege. „Im Moment haben wir zwischen der ambulanten und der stationären Pflege eine Grenze, an der es schon knirscht. Künftig haben wir zwei Grenzen, da wird es doppelt knirschen“, sagte Rothgang.
Die Lösung sei aus seiner Sicht eine sektorfreie Versorgung, bei der jeder Mensch wohnen könne, wie er wolle, „die Pflege kommt unabhängig von der Wohnform modular als Leistung dazu und wird nach einheitlichen Regeln abgerechnet“. Die Umsetzung dieses Konzeptes sei auch nicht einfach, „aber zukunftsweisend“.
Regelung muss praxistauglich sein
Der baden-württembergische Ressortchef Lucha sagte der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten zur „stambulanten“ Pflege, er werde sich im Gesetzgebungsverfahren dafür einsetzen, dass die Regelungen auch praxistauglich ausgestaltet werden. Aus Sicht des Grünen-Politikers entspricht es dem Wunsch der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen nach mehr Flexibilität und der Möglichkeit, sich auch selbst an der Versorgung zu beteiligen.
