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Städte brauchen Kirchen

Kirchen werden für die Kommunen immer wichtiger, meint Bauministerin Barbara Hendricks. Dem interreligiösen Berliner „House of One“ wünscht sie Strahlkraft „in die Welt hinaus“

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Für Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD; Foto) spielen Kirchen und ihre Sozialverbände als Gestalter in sozialen Brennpunkten auch weiterhin eine wichtige Rolle. Im Interview mit Anna Mertens und Birgit Wilke Berlin berichtet Hendricks, die Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist, über ihre Erwartungen an die Kirchen und über das in Berlin geplante „House of One“ für drei Religionen. Als Umweltministerin äußert sie sich auch zum Pariser Klimaabkommen und den Verpflichtungen gegenüber den Entwicklungsländern.

Bei dem von Ihrem Ministerium unterstützten Projekt „Kirche findet Stadt“ sollen kirchliche Einrichtungen bei der Flüchtlingsintegration und Aufwertung von problematischen Quartieren helfen. Ist das nicht ohnehin eine originäre Aufgabe der Kirchen?
Schon immer haben sich die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände eingebracht. Bei der aktiven Gestaltung von Stadtentwicklung werden sie aber immer wichtiger. Gerade in sozialen Brennpunkten leisten kirchliche Einrichtungen unverzichtbare Arbeit. Das Bauministerium unterstützt Kommunen und Akteure vor Ort. Neben dem Programm „Soziale Stadt“ haben wir 2016 zusätzlich das neue „Investitionspaket soziale Integration im Quartier“ auf den Weg gebracht. Mit diesem Pro-gramm wollen wir Bildungseinrichtungen und Stadtteilzentren als Orte der Integration im Quartier gestalten.

Wird das kirchliche Engagement in einer zunehmend säkularer werdenden Gesellschaft noch geschätzt?
Davon bin ich fest überzeugt. Die Kirchen sind nach wie vor wichtige Akteure bei der sozialen Stadtentwicklung. Ihre Beratungsstellen und Einrichtungen wie Kitas und Schulen werden auch von vielen nichtchristlichen Menschen geschätzt. Ihre Rolle ist vielen, die mit der Kirche nichts am Hut haben, bei der Aufnahme von Flüchtlingen deutlich geworden. Ohne die Mithilfe der Kirchen und ihrer Sozialverbände hätten wir die Flüchtlingskrise nicht bewältigen können. Auch bei der Integration der Flüchtlinge werden die Kirchen weiterhin viel zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen.

Was schätzen Sie besonders an dem Projekt?
Im ökumenischen Kooperationsprojekt „Kirche findet Stadt“ erproben die Akteure an 18 Pionierstandorten neue Wege einer integrierten Stadt- und Quartiersentwicklung – angefangen von Kiel und Berlin-Wedding bis ganz im Süden in Oberteuringen. Sie widmen sich dabei gesellschaftlichen Herausforderungen wie der Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung, dem generationenüber-greifenden Zusammenleben oder dem wachsenden Bedarf an Pflege und der zunehmenden Bedeu-tung von Maßnahmen zur Gesundheitsprävention.

Ein multireligiöses Bauprojekt in Berlin ist das „House of One“. Sie haben es das „richtige Projekt zur richtigen Zeit“ genannt. Was macht das Projekt so besonders?
Vielen scheinbar religiösen Konflikten liegen tiefgehende Konflikte zugrunde. Für mich ist es daher wichtig, dass über Toleranz hinaus der Glaube des Anderen aktiv anerkannt wird. Deshalb finde ich die Idee vom „House of One“ faszinierend. Hier sollen die drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Dabei haben alle ihren eigenen Raum, aber durch den gemeinsamen Haupt- und Eingangsraum begegnen sie sich und kommen miteinander ins Gespräch. Ich wünsche mir, dass das Projekt eine Strahlkraft für Deutschland entwickelt – am besten in die Welt hinaus.

Das Projekt wird mit etwa 43 Millionen Euro veranschlagt. Der Bund hat 2,2 Millionen Euro zugesichert, das Land Berlin 1,2. Die Initiatoren wollen erst anfangen, wenn 12,5 Millionen Euro zusammen sind. Will der Bund eventuell weiterhelfen?
Wir haben zu Beginn des Projektes einen mutigen Schritt gemacht, und darauf können sich die Initiatoren verlassen. Es ist ein Projekt, das sich aus Spenden finanzieren soll. Ich bin zuversichtlich, dass es den Initiatoren gelingen kann, die erforderlichen Gelder einzusammeln.

Sie sind nicht nur Bau-, sondern auch Umweltministerin. Das Pariser Klimaabkommen war 2015 ein Meilenstein. Sie setzen sich in Ihrem Klimaschutzplan 2050 für einen sozialverträglichen Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft ein. Was sind die größten Hürden?
Unsere Gesellschaft bedarf einer tiefgreifenden Transformation, um den langfristigen Klimaschutzzielen gerecht zu werden. Das wird nicht von heute auf morgen gelingen. Bis 2050 wird es zu einem schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung kommen – aber auch in der Automobil- oder der Chemieindustrie wird es ein Umdenken geben. Wichtig ist, dass wir bei allen notwendi-gen Schritten einen Strukturwandel ohne Strukturbrüche schaffen. Niemand darf zurückgelassen werden. Aber ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt.

Um das Klimaabkommen voranzutreiben, bieten Sie Entwicklungsländern Hilfe bei der Erarbeitung von Umsetzungsplänen an…
Wir Länder der nördlichen Hemisphäre und Hauptverursacher des Klimawandels müssen den südlichen Ländern bei der Umsetzung ihrer nationalen Klimaschutzpläne helfen – finanziell und mit Know-how. Die Industrieländer werden daher den Entwicklungsländern ab 2020 rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr für den Kampf gegen den Klimawandel zur Verfügung stellen. Wir können dankbar sein, dass wenige Monate vor dem Klimaabkommen Papst Franziskus seine Umweltenzyklika veröffentlicht hat. Das hat in der Weltgemeinschaft viel bewegt.