Michael Urselmann ist ein bundesweit bekannter Experte in Sachen Fundraising. Der aus dem Englischen kommende Ausdruck bezeichnet das professionelle Sammeln von Spenden. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) blickt der Kölner Wissenschaftler auf einen besonderen Aspekt des Fundraisings, der beispielsweise für Hilfsorganisationen immer wichtiger wird.
KNA: Herr Professor Urselmann, wie wichtig sind Erbschaften und Vermächtnisse für das Fundraising von gemeinnützigen Organisationen wie beispielsweise kirchlichen Hilfswerken?
Urselmann: Das macht nur einen Teil des Fundraisings aus. Aber es handelt sich um einen Bereich, der stark wächst und das schon seit mehreren Jahren.
KNA: Warum ist das so?
Urselmann: Der wichtigste Treiber ist natürlich der wachsende Wohlstand in Deutschland. 2025 können wir 80 Jahre Frieden nach Ende des Zweiten Weltkriegs feiern. Eine so lange Friedensphase hatten wir in Deutschland noch nie. Da lässt es sich gar nicht verhindern, dass sich immer mehr Vermögen über Generationen hinweg aufbaut. Auch wenn längst nicht alle Menschen von einem Erbe profitieren und die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergegangen ist.
Aber unter dem Strich muss man sagen: Wir waren noch nie so wohlhabend in Deutschland, wie wir das jetzt sind. Wir hatten auch noch nie so viele Millionäre, obwohl ja längst nicht nur Millionäre testamentarisch ihr Vermögen einem gemeinnützigen Zweck vermachen.
KNA: Welche Rolle spielt der demografische Wandel, also die Tatsache, dass die Gesellschaft immer älter wird?
Urselmann: Heute sterben die Menschen im Durchschnitt mit 81 bis 83 Jahren. Ihre Kinder haben sie mit 25 bekommen. Das heißt: Die Kinder erben nicht selten mit 50, 60 Jahren, zu einem Zeitpunkt also, wo die meisten finanziell eigentlich abgesichert sind. Man freut sich natürlich trotzdem über das Erbe. Aber man kann eben auch großzügiger teilen. Umgekehrt sagen Erblasser nicht selten: Ich setze neben meinen Kindern auch noch eine gemeinnützige Organisation ein, weil meine Kinder schon sehr gut versorgt sind.
KNA: Zugleich gibt es viele Menschen, die keine Nachkommen oder nahen Verwandten haben…
Urselmann: Die sagen sich dann vielleicht: Bevor das Geld jetzt an den Staat und dann in den Brücken- oder Straßenbau geht, gebe ich es doch lieber an eine gemeinnützige Organisation, die mir am Herzen liegt. Bin ich Katholik, gebe ich es einer katholischen Organisation. Bin ich nicht gläubig, dann kriegen es eben die Ärzte ohne Grenzen oder die SOS Kinderdörfer.
KNA: Um das Image der Kirchen ist es nicht gerade gut bestellt. Nehmen katholische und evangelische Organisationen weniger Spenden durch Nachlässe ein?
Urselmann: Die meisten Erblasser sterben in einem Alter um die 80 Jahre. In dieser Generation sind die Kirchen noch relativ fest verankert. Aber natürlich wird sich das in dem Maße ändern, wie sich die Gesellschaft von den Kirchen entfremdet.
KNA: Vererben können nur diejenigen, die über ein gewisses Vermögen verfügen. Laut Statistiken von 2017 vererben Menschen aus dem obersten Einkommensfünftel im Schnitt rund 248.000 Euro, im mittleren Einkommensfünftel waren es 52.000 Euro und im untersten Fünftel gerade einmal 12.000 Euro. Ist es nicht unfair, wenn eine Minderheit mit ihrem Geld bestimmt, welche gemeinnützigen Zwecke gefördert werden?