Der Würzburger Bischof Franz Jung spricht über Weihnachten in Krisenzeiten, Sehnsucht nach Geborgenheit, harte Debatten und die Aufarbeitung von Missbrauch. Und wagt einen Ausblick auf den Katholikentag 2026 in Würzburg.
Viele Menschen schauen an Weihnachten auf ihre Kindheit zurück. Auch der Würzburger Bischof Franz Jung erinnert sich gerne daran. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt er außerdem, wie er auf den Trend zur immer früheren Weihnachtsdeko, auf politische Debatten und auf den Katholikentag 2026 in Würzburg blickt – und welcher Moment 2025 für ihn am schwierigsten war.
Frage: Herr Bischof Jung, haben Sie eine liebste Erinnerung an Weihnachten in Ihrer Kindheit?
Antwort: Schön war, dass wir immer als große Familie gefeiert haben: Großeltern, Eltern, Geschwister. Wir Kinder haben musiziert. Ich habe Blockflöte, später Querflöte gespielt und meine Geschwister Geige. Das war allen wichtig – auch der religiöse Charakter der Weihnachtsfeier. Mit der Zeit starben die Großeltern, dafür kamen die Kinder meiner Geschwister dazu. Heute ist es etwas schade, dass ich erst am zweiten Feiertag nach Mannheim und Ludwigshafen zur Familie fahren kann.
Frage: Wie gestaltet sich Ihre Advents- und Weihnachtszeit?
Antwort: Im Advent besuche ich viele soziale Einrichtungen. Auch ein Gottesdienst mit Inhaftierten in der Justizvollzugsanstalt gehört dazu, ebenso wie eine Feier mit den emeritierten Priestern im Seniorenheim. An Heiligabend ist ein erster wichtiger Termin die ökumenische Weihnachtsfeier in der Wärmestube mit Obdachlosen und Bedürftigen. Danach schätze ich ein einfaches Essen mit den Mitbrüdern zur Vorbereitung auf die Christmette als Höhepunkt.
Frage: Was darf sonst noch an Weihnachten nicht fehlen?
Antwort: An meinem Christbaum hängen Strohsterne, wie früher zu Hause. Mir ist wichtig, den Baum kurz vor Weihnachten selbst aufzustellen und die Krippe aufzubauen.
Frage: Viele Menschen feiern Weihnachten nicht mehr als christliches Fest, sondern als jahreszeitliches Gefühl: Nach Halloween kommt die Weihnachtsdeko raus. Wie schauen Sie auf solche Entwicklungen?
Antwort: Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Harmonie ist etwas Schönes und passt zu dem, was wir an Weihnachten feiern. Bezeichnenderweise sind an Weihnachten unsere Gottesdienste mit am besten besucht. Deshalb finde ich es seltsam, wenn man diese Stimmungslage gegen das christliche Fest ausspielt. Ich erlebe das intensiv bei meinem Engagement in der Bahnhofsmission: Viele Gäste dort denken an ihre Kindheit zurück, als die Welt noch heil war. An Weihnachten feiern wir, dass unsere Sehnsucht nach Geborgenheit nicht ins Leere läuft, sondern in Christus eine Antwort findet.
Frage: Was war für Sie der schwierigste Moment 2025?
Antwort: Für mich persönlich war der schwierigste Moment, als ich am 8. April das unabhängige Missbrauchsgutachten entgegengenommen habe. Ich wusste nicht, was auf mich zukommt. Aber wir haben stets versucht, das Thema ehrlich und mit Empathie den Betroffenen gegenüber anzugehen. Dabei ist Vertrauen gewachsen, dass wir es als Bistum ernst meinen. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Würzburg hat viele Maßnahmen empfohlen, die wir mit Hochdruck umsetzen. Im April 2026 werden wir Rechenschaft über die weiteren Schritte ablegen, die wir seitdem gegangen sind.
Frage: Auch die Bundestagswahl und politische Debatten haben das Jahr geprägt. Bringt die Kirche ihre Stimme für die Menschenwürde ausreichend ein, etwa bei Themen wie Migration oder Sozialleistungen?
Antwort: Wir haben sehr deutlich gesagt, was unsere Haltung zum Thema Migration anbelangt. Schauen Sie etwa in die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Dort arbeiten mittlerweile viele Fachkräfte aus dem Ausland, die einen tollen Job machen. Unser Sozialsystem würde ohne sie zusammenbrechen. Wir haben uns auch sehr klar zum Thema assistierter Suizid positioniert: Wir verteidigen die Menschenwürde bis zum letzten Moment. Angesichts der Diskussion um Paragraf 218 werden wir nicht müde zu betonen, dass es für uns als Kirche keinen abgestuften Lebensschutz gibt.
Frage: Wie nehmen Sie die Art und Weise wahr, wie gesellschaftlich diskutiert wird?
Antwort: Ich sehe mit Sorge, dass sachliche Diskussionen kaum noch möglich sind, ohne sofort in Lager eingeteilt zu werden. Positionen werden verkürzt und polarisierend zugespitzt. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den vielen drängenden Thema wird so zunehmend schwer. Dem konstruktiven Miteinander ist diese Entwicklung abträglich. Hier hilft nur, Diskussionsforen zu schaffen, wie wir es mit unseren Akademien versuchen, um miteinander im Gespräch zu bleiben.
Frage: Raum für konstruktive Diskussionen soll auch 2026 auf dem Katholikentag in Würzburg sein. Was wünschen Sie sich von dem Treffen?
Antwort: Ich wünsche mir, dass wir mit dem Leitwort “Hab Mut, steh auf” einen wichtigen Impuls geben können in Zeiten, in denen sich viele Menschen angesichts der vielfältigen Krisen gelähmt und ohnmächtig fühlen. Wir wollen den Glauben als wichtige Ressource ins Spiel bringen und Zeugnis ablegen für die Kraft, die er gibt. Auf über 40 Podien wird gesellschaftspolitisch diskutiert. Und es gibt ein großes geistliches Programm. Ich glaube, es wird ein sehr schönes Fest.
Frage: Wir feiern Weihnachten in konfliktreichen Zeiten. Wie kann man die Friedensbotschaft des Festes vermitteln, ohne dass es nach einer Vertröstung auf bessere Zeiten klingt?
Antwort: Der Frieden von Weihnachten ist keine süßliche Soße, die über alles gegossen wird. Sondern der Friede ist eine Wirklichkeit, die uns von Gott her angeboten wird – “den Menschen seiner Gnade”, wie es so wunderbar im Weihnachtsevangelium heißt. Aus diesem Geschenk heraus gilt es, selbst ein friedvoller Mensch zu werden. Das ist eine große Aufgabe, weltpolitisch wie persönlich für jede und jeden Einzelnen. Dabei wissen wir: Frieden ist kein Zustand, sondern ein Prozess, der auch Rückschläge kennt. Insofern braucht man hier ein enormes Durchhaltevermögen, für das uns der Glaube Kraft gibt. Überdies gilt: Frieden ist die Frucht der Gerechtigkeit. Wo eine gerechte Ordnung fehlt, wird es auf Dauer keinen Frieden geben. Beides aufzubauen, ist die Herausforderung, vor der wir stehen.