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Selig sind, die Frieden stiften!

Wie ist die Situation der Menschen in der Ukraine und wie beurteilen sie Kirchenvertreter?

Im Ukraine-Konflikt laufen diplomatische Bemühungen für eine Entspannung auf ­Hochtouren.  Gleichzeitig fordert die Ukraine Waffenlieferungen. Worin liegt die Lösung? Noch immer stehen mehr als 100000 russische Soldaten an der Grenze. Während der ­Westen einen Krieg fürchtet, behauptet Moskau, keinen Überfall zu planen. Doch wie ist die Situation der Menschen vor Ort und wie beurteilen sie Kirchenvertreter?

Von Enno Haaks

Die Lage an der ukrainisch-russischen Grenze ist bedrohlich. Es gibt die große Sorge vor einem Krieg. Aus der lutherischen Gemeinde in Kiew berichtet EKD-Auslandspfarrer Matt­hias Lasi, dass es viele Gemeinde­glieder gibt, die einen Notfallkoffer gepackt haben. Viele glauben, dass der Truppenaufmarsch, die zahl­reichen Manöver und Drohgebärden darauf hinweisen, dass ein Krieg unausweichlich ist, wenn nicht Moskau Zugeständnisse macht. Nur: Ist das realistisch? Wie kommt Russland ­gesichtswahrend aus dem Konflikt ohne Krieg heraus?

Der Bischof der lutherischen ­Kirche der Ukraine, Pavlo Schwarz, hat einen Appell veröffentlicht, der das widerspiegelt, was die Menschen vor Ort empfinden. Darin heißt es über die Konzentration von russischem Militär an den Grenzen: „Es ist eine beträchtliche Kraft, die in der Lage ist, unserem Land enormen Schaden zuzufügen und unter der ­Zivilbevölkerung gewaltige Opfer zu bringen – Millionen von Menschen werden möglicherweise angegriffen.“ Er ruft die Christenheit auf: „Betet, dass die große Invasion, die uns droht, nicht stattfindet.“

Der Krieg fordert schon seit 8 Jahren 14000 Tote

Der Chef der katholischen Caritas in der Ukraine schilderte vergangene Woche mögliche Eskalationsstufen, auf die er sich mit seinen Mitarbeitenden vorbereitet. Erstens: Es bleibt bei der im Osten „eingefrorenen ­latenten lokalen Kriegsgefahr“. Zweitens: Es kommt zu regional begrenzten kriegerischen Handlungen – mit Folgen für etwa 4 Millionen Menschen, die ihre Wohnungen verlassen müssen. Drittens: Es gibt ­erweiterte kriegerische Handlungen mit Folgen für etwa 8 Millionen Menschen. Viertens: Es kommt zur kompletten Invasion der Ukraine mit brutalen Folgen für ganz Europa und Destabilisierungen aller politischen Systeme, auch durch die Migrationsströme. Der Krieg hat bisher schon 14 000 Todesopfer gefordert. 1,7 Millionen Menschen haben ihre Heimat verloren und sind geflohen. 2,9 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Verpflegung der Menschen im Osten der Ukraine ist schwierig. Die Menschen leiden.

Im Gebet nicht nachlassen

Von unseren evangelischen Partnern in Russland wird uns gesagt, dass sie sich von der aggressiven Politik des eigenen Landes mit in Geiselhaft ­genommen fühlen und Sorge um die Folgen haben. Der reformierte ungarischsprachige Bischof in der Ukraine warnt vor Waffenlieferungen an die Ukraine, weil die Gefahr, dass diese in falsche Hände gelangen, groß sei. Alle Partner hoffen auf ­verstärkte diplomatische Anstrengungen. Der Druck auch auf Moskau kann nur politisch verstärkt werden. Und sie alle bitten uns, im Gebet nicht nachzulassen, dass kein neuer Krieg ausbricht. Eine andere Macht haben wir nicht als Kirchen.

Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein – so sagten es die Vertreter auf der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 1948 in Amsterdam, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Europa und der Welt steckten die Schrecken des Krieges in den Knochen. Deshalb: Krieg soll nicht sein! Das Problem ist: Was nicht sein soll, ist trotzdem da. Es ist Krieg in der Ukraine – seit 8 Jahren. Eine ­weitere Eskalation und Ausweitung stehen anscheinend kurz bevor.

Zur Verantwortung der Politik gehört es, alle Chancen auszuloten, dass Frieden möglich wird. Es wäre gut, wenn die UNO eine stärkere Rolle spielen und deeskalierend wirken würde. Friedenstruppen haben aber nur eine Chance, wenn sie von allen Seiten akzeptiert werden.

Jesu Friedenszeugnis folgen

Wir als Christen können auf jeden Fall um Frieden beten. Das ist schon was. Darum bitten uns auch eindringlich unsere Partner. Und wir können im ökumenischen Kontext versuchen, Einfluss zu nehmen. Es finden derzeit in kirchlichen Kon­texten, in den Weltbünden viele ­Gespräche statt, um dem Friedenszeugnis Jesu Raum zu geben. Seine Worte gilt es immer wieder in ­Erinnerung zu rufen: „Selig sind, die Frieden stiften!“

Pfarrer Enno Haaks ist Generalsekretär des Gustav-Adolf-Werks mit Sitz in Leipzig.