Ob im Altenheim, im Naturschutz oder im Sport: Freiwilligendienste helfen allen Beteiligten. Die Nachfrage ist größer als das Angebot. Doch die Schuldenbremse könnte dafür sorgen, dass die Dienste gestutzt werden.
Rüdiger Schuch ist sauer: Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sie die Freiwilligendienste stärken will. Und immer wieder macht sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für die Einführung einer sozialen Pflichtzeit stark. Im krassen Widerspruch dazu stehen aus Sicht des Präsidenten des evangelischen Sozialverbandes Diakonie die geplanten Kürzungen für die Freiwilligendienste in Deutschland. “Nur wer in freiwilliges Engagement investiert, erntet Demokratie und Zusammenhalt”, mahnt Schuch. Die Anbieter des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) benötigten dringend ausreichende Mittel und Planungssicherheit.
Seit genau 60 Jahren können sich vor allem Jugendliche in der Regel für ein Jahr verpflichten, meist in Vollzeit und ohne Erwerbsabsicht einen Dienst für das Gemeinwohl im Inland zu leisten. Sie erhalten ein Taschengeld und werden pädagogisch begleitet. Die Nachfrage ist meist höher als die Zahl der angebotenen Plätze.
Doch die Aussichten sind düster: Für den Jahrgang 2024/25 sind massive Kürzungen der Haushaltsmittel angekündigt. Dies führt jetzt bereits zu Kürzungen von 7,5 Prozent für den FSJ-Jahrgang, der ab Sommer startet, und von 25 Prozent für den Bundesfreiwilligendienst ab Anfang 2025. Für den Jahrgang ab Sommer 2025 stünden im FSJ sogar Kürzungen von 35 Prozent gegenüber 2023/2024 im Raum, so der Diakonie-Chef.
Viele Träger wie das Deutsche Rote Kreuz, Diakonie oder Caritas befürchten einen regelrechten Kahlschlag. Es könnten bis zu 30.000 Plätze für Freiwilligendienste wegfallen, rechnet der Paritätische Wohlfahrtsverband vor. Die Caritas spricht von 25.000 bis 35.000 Plätzen.
Schuldenbremse und Sparbeschlüsse statt Ausbau – und das ausgerechnet in einem Jahr, in dem das Freiwillige Soziale Jahr seinen 60. Geburtstag feiert. Am 29. April 1964 hatte der Bundestag die Einrichtung des bundesweiten Freiwilligendienstes beschlossen – bis das Gesetz im August 1964 in Kraft trat, musste es noch ein Schlichtungsverfahren durchlaufen. Geburtshelfer waren die beiden Kirchen, die in den 50er und 60er Jahren eigene karitative Freiwilligendienste gegründet hatten. 1954 hatte die evangelische Kirche ein Diakonisches Jahr in allen evangelischen Kirchen Westdeutschlands und auch in der DDR eingeführt; die katholische Kirche rief zum “Jahr für den Nächsten” auf.
Seit 1964 hat sich das Angebot der Freiwilligendienste deutlich ausdifferenziert. 1993 folgte das Freiwillige Ökologische Jahr. Und seit 2002 ist es möglich, ein FSJ auch in den Bereichen Kultur, Sport, Politik oder der Denkmalpflege zu absolvieren. Als die Wehrpflicht ausgesetzt wurde und damit auch der Zivildienst wegfiel, wurde 2011 außerdem der Bundesfreiwilligendienst (“Bufdi”) eingeführt, der sich auch an Menschen richtet, die älter als 26 Jahre sind.
Außerdem gibt es Freiwilligendienste, bei denen die Helferinnen und Helfer im Ausland mit anpacken – beispielsweise der dem Entwicklungsministerium zugeordnete entwicklungspolitische Freiwilligendienst weltwärts oder der dem Auswärtigen Amt zugeordnete Freiwilligendienst kulturweit.
Zugleich wuchs die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: In den Jahren 2017/18 wurde laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung von 2022 mit mehr als 107.000 Freiwilligen im In- und Ausland ein Höhepunkt erreicht. Seitdem sind die absoluten Teilnehmendenzahlen zurückgegangen auf 97.500 im Jahr 2020/21. Betrachtet man allerdings den Anteil der jungen Freiwilligen an den Absolventinnen und Absolventen allgemeiner Schulen, wurde der Höhepunkt 2018 mit 11,7 Prozent erreicht und stagniert seitdem bei 11,5 Prozent.