Entwicklungshilfe soll nachhaltig sein und bei Katastrophen auch schnell. Hierfür haben sich Organisationen in einem Bündnis zusammengeschlossen. Doch die Vielzahl der Krisen macht die Arbeit schwerer.
Seit zwanzig Jahren vertritt “Bündnis Entwicklung Hilft” die Anliegen seiner elf Mitglieder und wirbt in Partnerschaft mit der ARD bundesweit um Spenden. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt Geschäftsführerin Ilona Auer-Frege, wie sich die Arbeit verändert hat und welche Herausforderungen sie erschweren.
KNA: Frau Auer-Frege, wofür steht das “Bündnis Entwicklung Hilft”?
Auer-Frege: Gegründet wurde es kurz nach dem Tsunami in Südostasien 2004. Damals wurde klar, dass es einen Bedarf gibt, die entwicklungsorientierte Nothilfe besser zu koordinieren sowie schnell und niedrigschwellig Spenden zu sammeln. Unsere Projekte sind aber nicht nur für akute temporäre Hilfe, sondern primär langfristiger ausgelegt.
KNA: Ist das keine Konkurrenz zur klassischen humanitären Hilfe?
Auer-Frege: Ich sehe keine Konkurrenz. Rettungshunde, Suchtrupps oder medizinische Hilfe etwa nach einem Erdbeben einzufliegen hat natürlich seine Berechtigung. Aber unsere lokalen Partner haben in derartigen Situationen akuten Bedarf an mehr Mitteln. Wir leiten die Mittel an örtliche Nichtregierungsorganisationen weiter, weil unsere lokalen Partner langjährige Erfahrung mit den Gegebenheiten vor Ort haben und dadurch besser einschätzen können, was die konkreten Bedarfe sind, und wie man sie am effizientesten bedient.
KNA: Die Steuerung läuft bei Ihnen zusammen?
Auer-Frege: Die Aufgabe der Geschäftsstelle ist es, den Kontakt mit den Bündnis-Mitgliedern sowie der ARD zu halten und die Mittel einzusammeln. Um alles sauber abzuwickeln und zu dokumentieren, nutzen wir Dienstleister wie etwa Banken. Für die Ukraine beispielsweise sind im ersten Jahr nach Kriegsbeginn mehr als 100 Millionen Euro bei uns eingegangen. Bei einer Partnerbank gingen in kürzester Zeit mehr als 100.000 Einzelspenden ein. Da ist sogar ihr System kurz zusammengebrochen.
KNA: Und was passiert, wenn das Geld da ist?
Auer-Frege: Wir verteilen es gemäß des Spendenzwecks zu gleichen Teilen an unsere Mitgliedsorganisation. Sie und deren Partnerorganisationen setzen mit den Geldern erforderliche Hilfsmaßnahmen um.
KNA: Hat sich das Bündnis bewährt?
Auer-Frege: Die Zahl der Krisen nimmt insgesamt zu und die einzelnen Krisen steigen in ihrer Intensität. Die immer extremer werdenden Folgen des Klimawandels kommen hinzu. Die humanitäre Hilfe enthält daher politisch etwas mehr Gewicht, während die Entwicklungszusammenarbeit sich in der Gesellschaft und Öffentlichkeit mehr behaupten muss. Daher müssen viele Spenden immer wieder schnell und gut koordiniert gesammelt werden. Dazu ist das Bündnis da. Und wir merken, dass die Menschen gerne spenden.
KNA: Sie sagen, die Entwicklungszusammenarbeit muss sich behaupten? Beobachten Sie Veränderungen im Verhalten der Spender?
Auer-Frege: Das ist oft sehr abhängig von der öffentlichen Berichterstattung. Nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien sind zum Beispiel in wenigen Stunden hohe Spendensummen eingegangen. Es ist wichtig, den Menschen zu erklären, dass ihre Spenden sinnvoll und nachhaltig eingesetzt werden. Dann ist die Solidarität sehr hoch.
KNA: Haben Sie einen Überblick, wer spendet?
Auer-Frege: Wir erkennen einen Trend zu weniger Spenderinnen und Spendern, die dafür aber höhere Summen spenden. Wir erhalten auch viele und tendenziell höhere Unternehmensspenden.
KNA: Wie hat sich die Entwicklungszusammenarbeit verändert in den vergangenen 20 Jahren?
Auer-Frege: Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft rückt in den Vordergrund. Wir wollen mit den Menschen vor Ort arbeiten und ihrer Expertise vertrauen. Es werden zum Beispiel viel weniger Entwicklungshelferinnen- und -helfer entsandt, weil die Projektpartner vor Ort diese Rolle selbst übernehmen. Auch die Rolle der Frauen hat sich verändert. Und die Arbeit ist deutlich politischer geworden. Es geht viel stärker darum, die politische Selbstvertretung der lokalen Bevölkerung zu stärken, damit die Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig wirkt und nicht mit der Zeit verpufft.
KNA: Das funktioniert?
Auer-Frege: Ja und nein. Da dieser Ansatz zur Stärkung der lokalen Zivilgesellschaft bereits in vielen Fällen erfolgreich war, rüsten nicht-demokratische Regierungen wie etwa Russland gegen die Zivilgesellschaft auf und versuchen, ihre Rechte weiter zu unterdrücken. Wir fassen dieses Problem unter dem Begriff “shrinking democratic spaces” – schrumpfende Räume für Demokratien – zusammen.
KNA: Wie steht es denn um die Entwicklungszusammenarbeit in der deutschen Politik?
Auer-Frege: Ich glaube nicht, dass die Sinnhaftigkeit von entwicklungspolitischer Hilfe grundsätzlich infrage gestellt wird – von einer Partei vielleicht abgesehen. Wir sehen aber eine politische und globale Verschiebung der Prioritäten, da das Thema Aufrüstung immer stärker in den Fokus rückt. Und dann kommt es zu einem Verteilungskampf um Mittel und zu einem Spardiktat für soziale Leistungen – auch für die Entwicklungszusammenarbeit.
KNA: Immer wieder wurde in der Entwicklungshilfe auch über die dahinterstehenden Werte diskutiert. Ist das sinnvoll?
Auer-Frege: Unsere Arbeit ist geleitet von Menschenrechten, Gleichberechtigung, Partizipation, Geschlechtergerechtigkeit und zunehmend Nachhaltigkeit. Die Frage ist aber: Wie kann man eine wertebasierte Entwicklungszusammenarbeit in zunehmend autoritär geführten Ländern leisten?
KNA: Gibt es auch mal Momente, wo Sie sagen, Sie müssen Ihre Arbeit beenden?
Auer-Frege: Ja, in Einzelfällen müssen wir unsere Arbeit zeitweise einstellen, wenn die Sicherheit der Mitarbeiter nicht gewährleistet werden kann. Das war zum Beispiel in Afghanistan oder auch im Gazastreifen der Fall.
KNA: Was sehen Sie als die großen Herausforderungen für das Bündnis und seine Mitglieder?