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Sehenswerte Doku über die Ausbildung von Imamen in Osnabrück

Seit zwei Jahren werden in Osnabrück am Islamkolleg muslimische Geistliche ausgebildet – über alle religiösen Strömungen hinweg und auf Deutsch. Eine NDR-Doku hat das Projekt begleitet und bleibt hoffentlich weiter dabei.

Erstmals werden in Deutschland muslimische Theologen und Theologinnen in deutscher Sprache und nach akademischem Lehrplan ausgebildet. Für die Doku “Deutschlands neue Imame – Wozu brauchen wir sie?” in der NDR-Reportagereihe “45 Min” haben Carolin Fromm und Katrin Hafemann die ersten zwei Jahre des Osnabrücker Islamkollegs mit der Kamera begleitet.

Ender Cetin hat die Hälfte seines Studiums hinter sich. Die ersten Prüfungen stehen an. Eine davon: eine Predigt in einer Moschee vor dem Prüfungsgremium. Cetin hat die 41. Sure des Korans ausgewählt, Vers 34: “Das Gute und das Schlechte sind nicht gleich. Weise das Schlechte mit dem Besseren zurück, und du wirst sehen, dass derjenige, mit dem eine Feindschaft besteht, (danach) wie ein enger Freund wird.” Wobei das schon eine moderne Wortwahl ist. Ältere Übersetzungen sind blumiger formuliert und nicht auf Anhieb verständlich. Wie die Bibel muss der Koran immer wieder nach zeitgenössischem Verständnis übertragen und predigend interpretiert werden. Eine der Aufgaben der Imame.

Im Osnabrücker Islamkolleg werden Imame und religiöse Gemeindemitarbeiter ausgebildet, in deutscher Sprache, verbandsübergreifend, in Zusammenarbeit mit islamisch-theologischen Fakultäten wie dem Institut für Islamische Theologie an der Uni Osnabrück. Dessen Direktor Bülent Ucar ist Gründungsdirektor des Islamkollegs, das im Juni 2021 den Lehrbetrieb aufnahm.

Fromm und Hafemann begleiten einige der Studierenden durch die Ausbildung und haben sie auch in ihren Heimatorten besucht. Motivation und Erwartungen werden nicht nur abgefragt, sondern auch durch den biografischen, teils familiären Kontext nahegebracht:

Muhamed Memedi wurde in Mazedonien geboren, kam als Kind nach Düsseldorf, wo sein Vater Shinasi als Imam tätig ist, in Teilzeit, denn einen hauptberuflichen Imam kann sich die kleine Moschee nicht leisten.

Dem Berliner Ender Cetin liegt besonders die Kinder- und Jugendarbeit am Herzen. Er leistet bereits seelsorgerische Arbeit in einer Jugendstrafanstalt und weiß, dass viele junge Menschen muslimischen Glaubens von älteren Imamen, von denen viele aus dem Ausland stammen und kaum oder gar nicht Deutsch sprechen, nicht erreicht werden. Die Jugendlichen suchen religiöse Orientierung in den Sozialen Medien und geraten dort unter Umständen an religiöse Eiferer.

Elif Demirhan-Coban kommt aus Oldenburg, arbeitet dort bereits als ehrenamtliche Seelsorgerin und engagiert sich interkulturell. Sie möchte sich mit Blick auf ihre Gemeindeaufgaben weiterbilden.

Fromm und Hafemann geben Einblicke in den Studienalltag, der neben theologischen Inhalten auch politische Bildung, Gemeindepädagogik und Soziale Arbeit umfasst. Exkursionen führen die Gruppe in den Bundestag und in das Jüdische Museum.

Ein entscheidender Aspekt: Das als Verein organisierte Kolleg wurde mit der Absicht ins Leben gerufen, deutsche Imame für deutsche Muslime auszubilden. Es wird vom Bundesinnenministerium und dem Land Niedersachsen finanziert und von einem Kuratorium unter Vorsitz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff und einem wissenschaftlichen Beirat, dem auch christliche und jüdische Theologen und Wissenschaftler angehören, fachlich begleitet.

Einen eigenen Weg geht weiterhin die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, bekannter als Ditib. Auch ihr Generalsekretär Eyüp Kalyon kommt zu Wort. Die Ditib ist eng mit der türkischen Regierung verwoben und unterliegt der Aufsicht des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten. In der Praxis bedeutet das eine sunnitische Orientierung. Im Osnabrücker Islamkolleg hingegen werden alle Lesarten der Religion vorgestellt, was Teilnehmerinnen und Teilnehmer, so eines der Resümees, sehr zu schätzen wissen.

Lehrende und Studierende ziehen nach den ersten zwei Jahren eine positive Bilanz, machen aber zugleich keinen Hehl aus ihrer Skepsis. Es gibt keine Gewähr, dass die staatlich zertifizierten Imame eine Anstellung finden. Nicht nur deshalb wäre es spannend, die Absolventen noch länger zu begleiten und ihren Werdegang zu dokumentieren. Fortsetzung, bitte!