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“Seelsorge steht an erster Stelle”

Das Coronavirus hat den Alltag verändert – auch den von Gothart Magaard, Bischof in Schleswig-Holstein. Im Interview erzählt er, was ihn jetzt bewegt und wie sich das Leben nach Corona ändern wird.

Bischof Magaard an seinem Schreibtisch
Bischof Magaard an seinem SchreibtischBischofskanzlei

Evangelische Zeitung: Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie in dieser Zeit? Fällt auch einem Bischof mal „die Decke auf den Kopf“?
Gothart Magaard: Meiner Frau und mir geht es gut, wir halten natürlich Kontakt zu unseren Kindern, die ziemlich verstreut leben – vielleicht sogar intensiver als früher. Die Decke fällt mir zwar nicht auf den Kopf, dazu passiert einfach zu viel. Aber es ist schon eine große Umstellung, weil ich Schleswig nun gar nicht mehr verlasse, während ich sonst ja sehr viel unterwegs bin im Land.

Wie sehr lastet die Corona-Krise auf den Menschen?
Ich bekomme Post und E-Mails, bin im Gespräch mit den Menschen. Viele mussten sich in kürzester Zeit sehr umstellen: Sei es durch das Homeoffice, das Betreuen der Kinder zu Hause, die starke Einschränkung von Kontakten oder die ökonomische Situation wegen Kurzarbeit. Ich kenne ältere Menschen, die das alles gar nicht mehr einordnen können, was gerade passiert. Es ist eine Krise, die direkt oder indirekt alle betrifft.

Fällt Ihnen etwas ein, das damit vergleichbar wäre?
Das Einzige, was mir durch den Kopf ging, war die Tschernobyl-Katastrophe 1986. Aber immerhin war es damals möglich, sich zu Gottesdiensten zu treffen. Dieses Abstandhalten von heute gab es nicht. Es war ebenfalls eine unheimliche Situation, aber die Corona-Krise hat noch eine andere Dimension.

Was können Glaube und Kirche tun, um zu helfen?
Zum einen sehe ich mit großem Respekt und auch Freude, wie viele neue Ideen umgesetzt werden, um den Verzicht auf die Gottesdienste, die für uns so große Bedeutung haben, zu kompensieren. Dazu gehören Andachten im digitalen Raum, es werden Predigten nach Hause geliefert, es gibt Nachbarschaftshilfe und Seelsorge am Telefon. Dabei dürfen wir den Blick über den Tellerrand nicht vergessen: auf die Menschen in den griechischen Flüchtlings­lagern und in unseren europäischen Nachbarländern. Die Osterbotschaft ist eine Hoffnungsbotschaft, die davon spricht, dass das Leben letztlich stärker ist als der Tod. Und dass wir auf Gott vertrauen können, der uns auf diesem Weg führen wird.

Wie sehen derzeit Ihre Arbeitstage aus?
Ich wohne Haus an Haus mit der Bischofskanzlei, jeden Morgen gegen 8 Uhr beginne ich dort zu arbeiten. Es ist es sehr ruhig, weil fast alle Mitarbeiter im Homeoffice sind: Wir kommunizieren intensiv über Telefon- und Videokonferenzen, beispielsweise einmal in der Woche mit allen Pröpstinnen und Pröpsten im Land. Am Ende des Tages bin allein in der Kanzlei, ich rufe dann den einen oder die andere an und reagiere auf Fragen der Menschen.

Was unternehmen Sie nach Feierabend?
Ich finde, es ist in dieser Zeit ganz wichtig für Leib und Seele, sich in der Natur zu erholen. So gehe ich mit meiner Frau oder allein jeden Tag ein wenig spazieren. Zusätzlich fahre ich mit dem Fahrrad von der Bischofskanzlei um die Schlei herum bis Haddeby und zurück. Als Lehrerin hat meine Frau jetzt frei, deshalb können wir alle drei Mahlzeiten am Tag zusammen genießen. Das ist bei uns sonst eher selten möglich und richtig schön!

Steckt in der jetzigen Krise auch eine Chance?
An erster Stelle steht jetzt, Menschen mit guter Seelsorge zu begleiten. Später lässt sich sicher sagen, dass wir bei der digitalen Kommunikation große Fortschritte machen. Mir sagte jemand: „Wie schön, dass der Bischof auf diese Art und Weise zu mir nach Hause kommt!“ Das hat mich richtig gefreut. Das andere wird sein, dass wir durch den Verzicht auf alles, was an Gemeinschaft zur Kirche zentral dazugehört, erfahren, wie wichtig Begegnung und Kommunikation für uns sind: All das, was wir jetzt vermissen, werden wir nach der Krise vielleicht noch stärker wahrnehmen und wertschätzen.