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schwierige Reise nach Jerusalem

Während ich diesen Blog schreibe, weilt die Bundeskanzlerin mit 16 Ministern und Staatsministern – fast dem ganzen Kabinett also – zu den fünften deutsch-israelischen Regierungskonsultationen in Jerusalem. Ein Besuch, der viel Fingerspitzengefühl braucht. Die Themen sind heikel: Zweistaaten-Lösung und Siedlungspolitik beispielsweise. Im Hintergrund wabert zudem stets die komplizierte religiöse Dimension aller Themen … Von Veit Hoffmann

Von Veit Hoffmann

Während ich diesen Blog schreibe, weilt die Bundeskanzlerin mit 16 Ministern und Staatsministern – fast dem ganzen Kabinett also – zu den fünften deutsch-israelischen Regierungskonsultationen in Jerusalem. Ein Besuch, der viel Fingerspitzengefühl braucht. Die Themen sind heikel: Zweistaaten-Lösung und Siedlungspolitik beispielsweise. Im Hintergrund wabert zudem stets die komplizierte religiöse Dimension aller Themen.

Ein kurzer Ausflug in die Altstadt Jerusalems zeigt, wie sehr religiöses Denken einem konstruktiven Dialog im Weg stehen kann:

In der Altstadt befindet sich die berühmte Grabeskirche. Sie ist einer der heiligsten Orte der Christenheit. Der Überlieferung nach ereigneten sich an dieser Stelle die Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung Jesu Christi. Hier sehen die Gläubigen das Grab Jesu und ein Teil des Steines, der das Grab verschloss. Diese Kirche ist jedoch alles andere als ein Ort der Stille und des Gebetes. Sechs christliche Kirchen teilen sich das Hausrecht: Die griechisch-orthodoxe, die armenische, die syrische, die äthiopische, die katholische und die koptische.

Seit über 600 Jahren betreuen die Franziskaner im Auftrag des Vatikans die Pilgerströme in den heiligen Hallen. Die dortige Unruhe geht nicht selten von den Mönchen selbst aus. Handfeste Schlägereien zwischen ihnen sind legendär. Die Polizeipräsenz ist deshalb groß. Seit 1852 sorgt ein osmanisches Regelwerk mit über 2000 Verordnungen dafür, wer, wo, wann welche Liturgie und Gottesdienst vor dem Grab Jesu halten darf. Die Zeiten dafür sind minuziös festgelegt. Überzieht eine Konfession ihren Gottesdienst vor dem Grab Christi wird es brenzlig.

Das Jerusalem-Syndrom

Für weitere Unruhe sorgt nicht selten das sogenannte Jerusalem-Syndrom. Manch einen Pilger überkommt hier der religiöse Wahn. Ich erlebte dort einmal die lautstarke Predigt von „Johannes dem Täufer“. Die Polizei nahm ihn fest und brachte ihn in die örtliche Psychiatrie zu Maria, Josef und König David. Nach wenigen Tagen ist für diese Menschen dann der Spuk vorbei. Sie wachen wieder auf von ihren religiösen Wahnvorstellungen und normalisieren sich. Die Grabeskirche hat eine enorme Anziehungs- und Ausstrahlungskraft. Religiöse Verzückungen sind für manche Pilger hier vorprogrammiert. Sie ist Zentrum und Ziel unzähliger Gläubiger aus der ganzen Welt.

Ob die Besucher hier wirklich das Grab Jesu sehen können, ist lediglich eine Frage des Glaubens. Im Jahr 326 hatte die fromme Helena, Mutter des Kaisers Konstantin, sich auf eine Pilgerfahrt nach Jerusalem aufgemacht. Sie wollte Relikte aus dem Leben Jesu sammeln. Mit Hilfe einer göttlichen Eingebung bestimmte sie den Ort der heutigen Grabeskirche als Ort seines Leidens und seiner Auferstehung. Historisch ist das eher zweifelhaft. Niemand weiß, wo Golgatha gelegen haben mag. Niemand weiß, wo sein Grab gewesen sein mag. In den letzten Jahrhunderten ist um die Grabeskirche ein Konglomerat von Kapellen, heiligen Stätten, Kirchenschiffen und Emporen entstanden. Auf dem Dach wohnen die Äthiopier in Lehmhütten. Die Lebensbedingungen dieser Mönche sind erbärmlich. Es gibt kaum Strom, kaum Wasser, keine Heizung, die Sanitäranlagen sind verkommen.

Die israelische Regierung ist bereit, diesen Zustand zu beenden und zu sanieren. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Äthiopier ihren Streit mit den armenischen Brüdern beenden. Aussichtslos! Die Schlüsselgewalt über die Kirche hat die muslimische Familie Nuseibeh. Aufgrund der vielen Streitereien zwischen den Konfessionen hat Sultan Saladin schon im 12. Jahrhundert diese Familie mit diesem Dienst beauftragt. Sie führt ihn bis heute aus. Abends um 20 Uhr wird die Kirche von außen geschlossen. Um 5 Uhr am Morgen wird sie wieder geöffnet.

Drei Religionen auf einem Quadratkilometer

Die Altstadt von Jerusalem. Sie ist kaum größer als einen Quadratkilometer und beherbergt drei Religionen auf engstem Raum und einen gewaltigen Basar. An der Klagemauer sind die Juden ihrem Gott so nahe wie nirgends auf der Welt. Sie ist die heiligste Stätte der Juden. Nirgendwo verschmelzen jüdische Kultur und Religion so sehr wie hier, wo einst der Tempel stand. Die Gegenwart Gottes wird an der Klagemauer spürbar wahrgenommen. Viele Beter wünschen sich den Tempel zurück. Denn der erwartete Messias kommt erst, wenn der Tempel steht.

Doch das ist unmöglich. Denn hier, wo der Tempel einst stand, wölbt sich heute die goldene Kuppel des Felsendoms über der Spitze des Berges Murija. Auf diesem Berg soll Abraham bereit gewesen sein, seinen Sohn Isaak zu opfern. Der Legende nach ist Mohammed einst von Mekka nach Jerusalem geritten und von diesem Ort aus in den Himmel gefahren. Hier hat er mit Gott über die Anzahl der Gebete verhandelt, die ein Muslim zu verrichten habe. Dann ritt er zurück nach Mekka. Das Gebet eines Muslim ist hier 25 000 Mal so viel wert wie an anderen Orten. Der Felsendom gehört zu den ältesten erhaltenen Bauwerken der islamischen Welt.

Der religiöse Frieden scheint auf diesem Quadratkilometer Jerusalem eine flüchtige Angelegenheit zu sein. Als Jesus nach Jerusalem kam, weinte er über diese Stadt und sagte:

„Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was dem Frieden dient!“ (Lukas, 19, 41)