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Schockstarre. Was nun?

Nach den Wahlen in den USA fürchten viele, dass auch hierzulande drastische Folgen zu spüren sein werden. Ein Riesenproblem dabei ist, dass zwei Lager immer weiter auseinanderdriften

Der Ausgang der US-Wahlen hat auch hierzulande bei vielen zu einer Art Schockstarre geführt. Mit Sorge blickte etwa die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vergangene Woche auf mögliche Folgen in der Weltpolitik. Und da ist die Angst, der Rechtspopulismus könne nun auch in Europa, auch in Deutschland, weiter an Boden gewinnen (siehe auch Seite 5).
Was tun? In den USA gehen Zehntausende auf die Straße, wollen Donald Trump als Präsidenten nicht anerkennen. Was sich in einem hässlichen Wahlkampf angekündigt hatte, könnte nun vollends wahr werden: die Spaltung der Gesellschaft.
Ganz anders der scheidende Amtsinhaber Barack Obama. Er, erklärter Gegner von Trump, setzt sich mit ihm zusammen. Er wolle Trump eine Chance geben. Obama setzt auf Hoffnung. Ähnlich machen’s viele Kirchen in den USA. Auch sie betonen, dass jetzt Versöhnung angesagt sei.
 Vielleicht ist es das, was wir neu lernen müssen: auf Versöhnung und Hoffnung setzen, statt uns ungewollt weiter an der Spaltung der Gesellschaft zu beteiligen.
 Denn dass die Erfolge etwa der AfD immer größer wurden, ist ja nur die eine Seite der Wahrheit. Die andere: Der Rest der Gesellschaft reagierte mit immer stärkerer Ab- und Ausgrenzung. Darunter die Mehrheit der Medien und Meinungsführer. Und viele in den Kirchen. Man müsse Flagge zeigen, so der Gedanke dahinter, jeden Ansatz von Alltagsrassismus und Fremdenfeindlichkeit im Keim ersticken. Das ist ehrenwert. Nur gelingt das nicht. Uns dämmert: Abgrenzung macht die Sache nur schlimmer, treibt immer mehr Unzufriedene in die Hände derer, die vermeintlich eine „Alternative“ zu bieten haben.
Erst allmählich beginnen wir zu verstehen, was in den vergangenen Jahren schiefgelaufen ist. Globalisierung und ungezügelter Kapitalismus haben einen Keil in die Gesellschaft getrieben. Viele sehen sich als Verlierer. Sie sehen sich und ihre Ängste im bestehenden System nicht vertreten. Das macht sie anfällig für schlummernde Instinkte wie Fremdenfeindlichkeit und ohnmächtiges Wüten. In den USA sprechen sie jetzt von einer „Revolution“ – das meint: Die Menschen glauben, die Verhältnisse umstürzen zu müssen.
Hier soll nichts schöngeredet werden. Hetze und Hass darf man nicht stehen lassen, man muss widersprechen. Die Frage aber ist: wie? Von oben herab, mit der moralischen Keule, dabei immer wieder darauf hinweisen, wie dumm und ungebildet die neuen Rechten angeblich sind? Das verstärkt doch den Eindruck: Denen bin ich nichts wert; ich suche mir andere, die mir das Gefühl vermitteln, ernst genommen zu werden.
Verständigung. Das heißt auch: widersprechen. Aber vor allem:  die anderen zu Wort kommen lassen. Hoffnung. Versöhnung. Es gibt keine Garantie, dass dieser Weg funktioniert. Wir müssen ihn trotzdem wagen. Welche andere Wahl sollten wir sonst haben?