Wer eine Sternschnuppe sieht, darf sich was wünschen – aber den Wunsch bloß nicht laut aussprechen. Sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung. So will es zumindest der Volksglaube im deutschsprachigen Raum. Am 11. bis 13. August ist es wieder so weit: Bei guten Bedingungen werden bis zu 100 Sternschnuppen in der Stunde am Nachthimmel sichtbar. Um diese „Himmelsfunken“ ranken sich seit Jahrhunderten in allen Kulturen die unterschiedlichsten Mythen.
Was putzwütige Engel im Himmel mit dem Ganzen zu tun haben, warum heiratswillige Menschen in Italien besonders achtgeben sollten und warum Alexander von Humboldt plötzlich im „Blitzlichtgewitter“ stand, erzählt Michael A. Rappenglück im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Rappenglück hat in München Astronomie, Geschichte der Naturwissenschaften, Philosophie und Systematische Theologie studiert, ist Experte für Kulturastronomie und Leiter der Sternwarte der Volkshochschule Gilching (Landkreis Starnberg).
epd: Herr Rappenglück, warum gibt es eigentlich jedes Jahr zur gleichen Zeit eine Sternschnuppen-Nacht?
Rappenglück: Weil unsere Erde jedes Jahr im Sommer die Umlaufbahn des Kometen 109P/Swift-Tuttle kreuzt. Dort befinden sich unzählig viele Staubteilchen, die sich vom Kometen gelöst haben, und bilden den Perseidenstrom. Sternschnuppen aus dem Perseidenstrom kann man übrigens vom 17. Juli bis ungefähr 24. August beobachten. Höhepunkte sind immer die Nächte zwischen dem 11. und 13. August. Da kann man bei guten Bedingungen bis zu 100 Sternschnuppen pro Stunde zählen.
epd: Und wie entstehen diese „Himmelsfunken“?
Rappenglück: Wenn die Erde in den Perseidenstrom gerät, dann ist das so, als ob man in einem Auto durch den Schneesturm fährt. Die Partikel rasen mit einer Geschwindigkeit von rund 200.000 Kilometern pro Stunde durchs All. Wenn diese Staubpartikel in die Erdatmosphäre geraten, dann verglühen sie in 80 bis 100 Kilometern Höhe. Sie sind ja nur einen bis maximal zehn Millimeter groß. Und dieses Verglühen nehmen wir als Lichtstreifen wahr. In der Fachsprache heißt das Meteor – nicht zu verwechseln übrigens mit Meteoriten: Die verglühen nämlich wegen ihrer Größe nicht komplett und erreichen den Erdboden. Aber das ist bei den Perseiden sehr, sehr unwahrscheinlich.
epd: Sie reden immer vom Perseidenstrom. Gibt es auch noch andere Meteorströme?
Rappenglück: Natürlich. Mit der bekannteste ist der Leonidenstrom, den man im November beobachten kann und von dem alle 33 Jahre auch einmal ein Meteorsturm ausgeht – ein wahres Himmelsspektakel. Da kann man – wenn man sehr viel Glück hat – 200.000 Sternschnuppen in der Stunde, wie am 12. und 13. November 1833, beobachten. Dem deutschen Forschungsreisenden Alexander von Humboldt ist das offenbar auch 1799 in Südamerika gelungen. Da gibt es ganz spannende Überlieferungen von ihm. Das muss fantastisch gewesen sein, ein wahres „Blitzlichtgewitter“.
epd: Sternschnuppen gelten als Glücksbringer. Woher kommt dieser Aberglaube?
Rappenglück: In so gut wie allen Kulturen sind im Himmel die Götter und auch unser christlicher Gott verortet. Sternschnuppen wurden daher oft als etwas Göttliches betrachtet. In der Antike dachte man, dass sich bei einer Sternschnuppe der Himmel öffnete. Und wenn die Tür zu den Göttern schon mal offen ist, dann kann man sich auch gleich was wünschen, so der Volksglaube. Jedes Land, jede Kultur hat da andere Vorstellungen.
epd: Was gibt es denn noch so?
Rappenglück: Viele Kulturen glauben an die Seelenwanderung. Sternschnuppen wurden für die Seelen von Verstorbenen gehalten. Dass also entweder gerade ein Mensch gestorben ist, dass ein Verstorbener wieder auf die Erde zurückkehrt oder dass ein Verstorbener auf dem Weg in die Unterwelt ist.
In Schlesien, der Oberpfalz und Böhmen glaubte man, dass man an der Stelle, wo eine Sternschnuppe herunterkommt, einen Schatz finden kann. Und wer in Italien im nächsten Jahr heiraten möchte, der darf, wenn er eine Sternschnuppe sieht, zwar an eine Heirat denken, aber nichts sagen. Dann geht der Wunsch angeblich in Erfüllung.
epd: Auch bei uns muss man doch bestimmte Regeln beachten, damit ein Sternschnuppen-Wunsch in Erfüllung geht, oder?
Rappenglück: Im deutschsprachigen Raum muss man sich den Wunsch denken, darf ihn aber nicht aussprechen und ihm auch später keinen verraten, so der Volksmund. Wissen Sie eigentlich, woher die Bezeichnung „Sternschnuppen“ kommt?
epd: Nein, ich hab’ nie darüber nachgedacht…
Rappenglück: Wenn die Engel früher die Himmelskerzen geputzt haben, dann haben sie erst mal das verkohlte, am Ende noch glühende Dochtende abgeschnitten und auf die Erde heruntergeworfen. Dieses Dochtende wurde früher auch als „Schnuppe“ bezeichnet. Das ist eine sehr schöne Geschichte, aber in vielen Kulturen wurden Sternschnuppen auch als etwas Bedrohliches wahrgenommen.
epd: Wo zum Beispiel?
Rappenglück: Im Englischen spricht man noch heute von „shooting stars“ – also schießenden Sternen. Früher hat man oft an Geschosse gedacht, an böse Mächte oder an Götter, die mit Sternen auf die Menschen zielen, oder dass der Himmel zusammenbricht. Das ist alles nicht ganz unbegründet – auch wenn von den Perseiden eher keine Gefahr ausgeht. Der Meteor von Tscheljabinsk 2013 ist ein Beispiel dafür, wie gefährlich Teile aus dem All für uns sein können. Die Druckwelle des zerberstenden Meteors hat für einiges an Zerstörung gesorgt. 1.500 Menschen wurden verletzt, vor allem durch herumfliegende Glassplitter.
Und dann gibt es noch den katholischen Glauben an die Laurentius-Tränen, der zwar nicht angstbesetzt, aber traurig ist.
epd: Geht es da um den Heiligen Laurentius, dessen Namenstag am 10. August gefeiert wird?
Rappenglück: Ja. Laurentius war ein römischer Diakon, der am 10. August 258 starb – also kurz vor der Sternschnuppen-Nacht. Er wurde für seinen Glauben hingerichtet – und zwar auf einem glühenden Eisenrost. Im katholischen Glauben werden Sternschnuppen daher auch als „Laurentius-Tränen“ bezeichnet.
epd: Was braucht es denn nun für die perfekte Sternschnuppen-Nacht?
Rappenglück: Ein wolkenloser Himmel wäre schon mal gut. Und der Mond sollte auch untergegangen sein. Ab 23 Uhr, besser nach Mitternacht, bis Sonnenaufgang wäre daher der beste Zeitpunkt. Die meisten Sternschnuppen sieht man in Richtung Nordosten. Trotzdem sollte man sich am besten hinlegen, weil man dann den ganzen Himmel im Blick hat. Von daher auch: warm anziehen und eine Decke zum Drauflegen mitnehmen. Der Boden kann im August nämlich schon ganz schön kühl sein. (00/2345/01.08.2024)