Schauspielerin Laura Tonke spielt im neuen Film “Amrum” eine der NS-Ieologie verfallene Mutter im Zweiten Weltkrieg. Über die Schwere dieser Rolle und Parallelen zur heutigen Zeit spricht Tonke im Interview.
Hitler ist tot, und trotzdem hält eine Mutter in Nordfriesland weiter eisern an der Ideologie des Nationalsozialismus fest: Im Film “Amrum”, der diesen Donnerstag in die deutschen Kinos kommt, spielt Schauspielerin Laura Tonke die Mutter Hille in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) hat sie in Berlin zum Interview getroffen. Es geht um die Schwere ihrer Rolle, Faschismus, Parallelen zum heutigen Deutschland – und wie die Liebe helfen kann.
Frage: Frau Tonke, Sie spielen Hille, eine Frau, die komplett der NS-Ideologie verfallen ist. Ist es Ihnen schwer gefallen, diese Rolle zu spielen?
Antwort: Ja, definitiv. Mir ist es schwer gefallen, mich in sie hineinzuversetzen. Ich habe gemerkt, dass ich im Dunkeln getappt bin. Ich konnte den Zugang nicht finden, ich finde sie und alles, woran sie glaubt, so schrecklich. Irgendwann dachte ich, dass ich übergehe, dass sie Hitler nicht nur verehrt, sondern ihn wie einen Superstar betrachtet, ihn vielleicht sogar liebt. Er bedeutet aus ihrer Sicht – und der Sicht vieler Leute damals in Deutschland – eine Sicherheit, er liefert einfache Antworten. Der Hass, der entsteht, wird als ein guter Hass wahrgenommen. Man müsse sich ja gegen einen Feind wehren.
Frage: Sehen Sie vor dem Hintergrund des Rechtsextremismus in Deutschland Parallelen zur heutigen Zeit?
Antwort: Hier sehe ich unweigerlich die Parallelen zu heute. Wollen die Leute heute auch einfache Antworten? Ja. Ist es ihnen alles zu kompliziert? Ja. Es gibt viele Leute, die keine Demokratie mehr haben wollen, sondern jemanden, der ihnen sagt, wo es langgeht. Der Faschismus deformiert Menschen – das wollte ich anhand von Hille zeigen.
Frage: Ein wichtiges Element im Film ist die Beziehung zwischen Hille und ihrem Sohn Nanning. Er sucht die Liebe seiner Mutter, doch sie kann das nicht wirklich zulassen. Warum?
Antwort: Weichheit und Güte sind keine Qualitäten im Faschismus. Als Nanning in einer Szene vor ihr weint, sagt sie nur: “Wegen Heulsusen wie dir haben wir den Krieg verloren”. Wenn sie das zu ihm sagt, sagt sie es aber eigentlich zu sich. Sie ist es, die gebrochen ist. Sie schreit ihn an, weil sie merkt, dass sie kaum noch aufrecht stehen kann. Ihr ganzes Weltbild ist mit dem Ende des Krieges zusammengebrochen; sie hat von einem Tag auf den anderen ihren Status und ihre Macht auf der Insel verloren. Diese Szene ist für mich eine Schlüsselszene.
Frage: Auch, wenn Nanning die Liebe bei seiner Mutter oft vergeblich sucht – ist sein Ansatz ein möglicher Ratgeber für die heutige Zeit?
Antwort: Ich glaube an diesen Weg. Ich kenne Momente, in denen ich wütend werde, aber Wut verschließt die Menschen. Es gibt im Alltag Situationen, in denen ich das Gefühl habe, dass sich die Stimmung zuspitzt. Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, Gaza, Trump – es stresst uns. In Deutschland erhöht sich die Spannung. Und deswegen denke ich immer: Das Mindeste ist, ein nettes Wort zu schenken. Ich glaube daran, dass sich das potenziert und dass das der Weg ist.
Und Nanning kann auf diese Weise manchmal zu Hille durchdringen. Das war mir wichtig. Nach zehn intensiven Drehtagen mit Nanning im Haus, im Studio in Hamburg, habe ich Fatih (Fatih Akin, Regisseur des Films, Anm. d. Red.) angerufen und gesagt: “Ich will eine Szene, in der ich Nanning umarme.” Ich brauchte diese Szene – und die hat er dann reingeschrieben. Wenn man zeigt, dass Hille auch liebevoll sein kann – in einem Moment, in dem Nanning herausfindet, dass Hille eine Frau verraten hat, dann hat es die ganze Bandbreite von Schrecklichkeit. Nanning liebt seine Mutter, die aber so furchtbare Dinge tut.
Frage: Der Nationalsozialismus wird in “Amrum” aus Sicht eines Kindes erzählt. Kann der Film mit diesem Ansatz zu einer Aufarbeitung der NS-Zeit beitragen?
Antwort: Es ist auf jeden Fall eine interessante Perspektive. Sie bietet uns einen neuen Zugang zu diesem Thema, teilweise durch das Nicht-Verstehen mancher Dinge Nannings. Ich musste an Asterix und Obelix denken. An die Lupe, die auf dem Dorf liegt. “Amrum” hat einen Lupen-Effekt, denn der Film zeigt das Problem kondensiert. Auch die ganze Flüchtlingsthematik wird in einem Mikrokosmos gezeigt. Und ich finde es interessant, wenn jemand völlig unbedarft ausspricht: ‘Wo sollen die Flüchtlinge denn wohnen?’ Das sind ja die Ängste, die viele Leute heute auch haben.
Frage: Ein Motiv, was wiederholt genannt wird, ist die Geschichte von Moby-Dick. Der hasserfüllte Kapitän Ahab sei wie Hitler, heißt es in einer Szene, und der Wal Moby-Dick könne Gott sein. Ist da etwas dran?
Antwort: Wenn es nicht Gott ist, dann ist es vielleicht wirklich die Liebe. Das kann ich mir schon gut vorstellen. Moby-Dick steht nicht ohne Grund zwischen all der Nazi-Literatur im Haus von Hille – auch, wenn das Haus Hilles Eltern gehörte und das eine Familie von Walfängern war. Oder aber: Gott selbst ist die personifizierte Liebe.