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Ruhe und viel Licht: Architektur kann beim Heilen helfen

Welche Rolle spielen Farben, Geräusche, Gerüche und Licht bei Angst und Stress im Wartezimmer? Eine große, sagen Ärzte und Architekten. Ein Besuch in der Charité in Berlin.

Wer Chemotherapie bekommt, ist froh, wenn er abschalten kann und seine Ruhe hat, während die Infusion läuft. Die Behandlungsumgebung sei deshalb für den Heilungsprozess durchaus wichtig, sagt Jalid Sehouli, Direktor der Charité-Frauenklinik in Berlin. “Ich war gerade in den USA, da sah es bei der Chemobehandlung aus wie in einer Fabrik. Rückzugsräume gab es gar nicht.”

Es ist ein Thema, das den Chefarzt schon länger umtreibt: Wie kann die Umgebung auch im Krankenhaus schön gestaltet sein? So, dass sie beruhigend wirkt – und idealerweise den Heilungsprozess befördert? Dass erst gar kein Wartezimmerblues entsteht?

Architektin Gemma Koppen hatte zusammen mit ihrer Kollegin, der Architekturpsychologin Tanja Vollmer, bereits 2010 in den Niederlanden mit rund 500 krebskranken Menschen und ihren Angehörigen eine Studie zu dem Thema durchgeführt. “Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen nehmen den Raum um sich herum anders wahr als Gesunde. Ihnen fällt die Orientierung schwerer, sie sind empfindlicher gegenüber Umweltreizen und verschätzen sich bei räumlichen Maßen”, erklärt Koppen. Dies habe zur Folge, dass zum Beispiel enge Räume kranken Personen signifikant dunkler und überfüllter erscheinen. Wenig Tageslicht oder eine triste Umgebung wirkten auf sie bedrückender und bedrohlicher.

“Architektur kann nicht heilen”, betont die Professorin, die Leiterin des Forschungslabors für Health Design an der Hochschule Coburg ist. “Aber sie kann heilungsunterstützend wirken, etwa Stresssymptomatik signifikant abbauen – oder auch erhöhen.” Das Konzept einer heilenden Architektur, die gezielt auf Wohlbefinden, Stressabbau und Gesundheit wirken soll, werde zunehmend populär – auch wenn es in Deutschland erst in Ansätzen realisiert sei.

So zum Beispiel in der Chemoambulanz der Charité im Virchow-Klinikum. “Rosi” heißt die Initiative, die in dieser Form erst seit zwei Jahren existiert und nach einer an Lungenkrebs verstorbenen Patientin benannt ist. Ihre Tochter Tina und Krebsspezialist und Frauenarzt Sehouli engagierten sich für den Umbau nach besonderen Maßstäben.

Großformatige Bilder von Frühlingsblumen hängen an den Wänden im Wartebereich, in dessen Mittelpunkt ein Aquarium steht. Eine Wand aus knallrosa Glas umgibt schützend die Wartenden. Gleichzeitig erlaubt sie ihnen einen freien Blick auf ihr Umfeld.

Im Behandlungszimmer um die Ecke sitzen die erkrankten Frauen zwar nebeneinander, während sie die Infusionen gegen Tumorzellen bekommen – aber in eigenen Nischen. Das Licht strahlt hell mit 16.000 Lux. Eine Glaswand ermöglicht freien Blick nach draußen ins Grüne. Die Atmosphäre ist freundlich; jeder hat hier die Möglichkeit zur gegenseitigen Kontaktaufnahme, aber auch, ganz für sich zu sein. Ein eigener Bildschirm ermöglicht, Filme zu schauen oder einem Yoga-Video zu folgen.

Koppen und ihre Kollegin haben in vielen Studien ermittelt, worauf es ankommt bei heilender Architektur. Grundlegend sei, dass kranke Menschen sensibler seien – und die Raumstruktur entsprechend schneller als störend empfinden als gesunde. So benötigen sie zum Beispiel “eine intuitive Wegführung mit möglichst wenigen Wegweisern, um sich im Krankenhaus ohne kognitive Anstrengung orientieren zu können”, erklärt die Niederländerin und ergänzt: “Auch laute medizinische Geräte oder stechender Desinfektionsgeruch werden für sie schnell zur Belastung.”

Eine Erkenntnis, die auch Arzt Sehouli in der “Rosi”-Ambulanz umgesetzt hat. “Ein Krankenhaus riecht ja steril, nach Urin oder nach totem Gewebe”, erklärt er. Um das zu ändern, gibt es auf der Chemoambulanz “Rosi” ein spezielles Duftkonzept. Überall sind hier Duftspender angebracht, die – dies ändert sich wöchentlich – entweder einen zarten Duft nach Zedern, nach Lavendel oder nach Zitrone verströmen.

Ebenso wachse bei kranken Menschen das Bedürfnis nach Rückzug und Privatheit, sagt Architektin Koppen. “Nischen, Ruheräume oder Einbett-Patientenzimmer ermöglichen, dass Abstand oder Abschottung schrittweise erfolgen können.” Aussicht und Weitsicht vermittelten dagegen Sicherheit, beispielsweise wenn Stationen um einen grünen Innenhof angelegt sind.

Sehouli geht es bei heilender Architektur in erster Linie um die Patienten und die Angehörigen, aber auch um Mitarbeiter wie ihn selbst. Entsprechend hat der Onkologe sein Arbeitszimmer eingerichtet – mit viel Kunst, teilweise von Patienten gemalt, Fotos seiner Familie und einem weichen Perserteppich auf dem Boden. “Ich bin hier beinahe täglich von 7.30 Uhr bis 21 Uhr. Das Krankenhaus ist mein Lebensraum. Auch ich will mich hier wohlfühlen.”

Sein Versuch, seine Abteilung nach Prinzipien der heilenden Architektur zu gestalten, ist demnach in kompletter Eigenregie erfolgt. “Eigentlich braucht es aber eine Struktur für so etwas”, stellt er klar. “Es ist ein Unterschied, ob man etwas nach diesen Prinzipien umbaut oder es von vorneherein ganz neu nach diesen Kriterien entstehen lässt”, sagt der Mediziner. Zusammen mit seiner Frau, der Fachärztin für psychsomatische Medizin und Psychotherapie, Adak Pirmorady, hat er die Europäische Künstlergilde für Medizin und Kultur gegründet – ein Verein, der die Gesundheit des Menschen ganzheitlicher in den Blick nehmen will.

Gelungen ist das bereits bei einem Pilotprojekt in Freiburg, das Gemma Koppen begleitet hat. Dort wurde 2024 der Neubau der Kinder- und Jugendklinik in Freiburg ganz nach Prinzipien heilender Architektur realisiert: Der Mensch soll hier Mittelpunkt stehen, nicht allein die Funktionalität. Um den durch Krankheit belasteten Eltern und Kindern so etwas wie Normalität zu ermöglichen, gibt es etwa auf jeder Etage Lern-, Sport- und Spielräume sowie eine Küche. Überall schaut man nach draußen – und kommt auch schnell an die Luft, wenn man das möchte.

Für Koppen ist die Krankenhausreform in Deutschland und die damit einhergehenden anstehenden Um- und Neubauten die Chance, die Umsetzung von neuen Architekturkonzepten zu realisieren. Das komme auch dem mentalen Wandel der Patientinnen und Patienten entgegen, sagt sie: Längst werde vom Krankenhaus mehr als eine einwandfreie medizinische Versorgung erwartet. “Der Patient will sich im Genesungsprozess in seiner Umgebung wohlfühlen.”