Artikel teilen:

Reden über das, was Angst macht

Angesichts des wachsenden Einflusses rechtspopulistischer und rechtsextremer Haltungen fragt Petra Bahr: Wie können die Kirchen tun? Zugleich mahnt sie: Zuversicht ist das elfte Gebot

epd-bild / Andreas Schoelzel

In Deutschland konstituiert sich momentan eine neue rechte Bewegung, die Rassismus mit antidemokratischen Ressentiments ver­bindet und die auch in der Mitte der Gesellschaft und unter evangelischen ­Gemeindegliedern Anklang findet. Die Theologin Petra Bahr* votiert ­dafür, das Gespräch darüber, wie wir in Deutschland leben wollen, nicht abzubrechen. Sie schlägt sechs Schritte vor, die Verständnis und Miteinander verbessern können.

„Wir sind keine christliche, wir sind eine deutsche Partei.“ Das sagt der Meisterdenker der AfD, Alexander Gauland. Dennoch ist es sehr wahrscheinlich, dass auch engagierte Kirchenmitglieder die neue populistische Partei wählen, aus welchen Gründen auch immer. Moralische Entrüstung über die „böse Welt da draußen“ hilft deshalb nicht. Das käme einem Gesprächsabbruch über eine Frage gleich, die alle beschäftigen muss: Wie wollen wir in Deutschland zukünftig leben? Wie können die „alten“ und die „neuen“ Deutschen, von wo auch immer sie kommen, unter einem Horizont zusammenkommen? Wie müssen wir uns ändern, damit Deutschland eine Heimat für alle bleibt?
Die Kirchen sind in vielen Gegenden der letzte öffentliche Raum, an dem über diese Fragen gestritten werden kann. Was können wir tun?
1. Wissen ist nicht alles, hilft aber viel. Grundlegende Angebote zu hilfreichen Unterscheidungen wie der zwischen Islam und Islamismus, zu der Situation der Länder, aus denen Geflüchtete kommen, aber auch deren eigene Geschichten, schaffen Orientierungssicherheit. Allerdings nur dann, wenn auch hässliche und tragische Geschichten erzählt werden dürfen.
Die Erinnerung an die deutsche Geschichte der schwierigen Integration der zwölf Millionen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten nach 1945 kann helfen. Vorsicht ist geboten bei falschen Vergleichen. Wir leben nicht im Jahr 1933, sondern in einer stabilen Demokratie mit starken Institutionen. Nicht den Ausnahmezustand herbeireden, sondern Gefahren benennen. Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer genauso einbinden wie einen gestandenen Polizisten, die alte Schlesierin oder die Kinderärztin.
2. Öffnen wir unsere Räume für diese Debatte, aber legen wir vorher klare Regeln fest. Wer pöbelt und beleidigt, muss gehen. Redezeiten, klare Moderation und Fortbildungen von Ehrenamtlichen für harte Streitgespräche helfen. Aushalten, dass man uneinig auseinandergeht.
3. Reden wir über das, was Angst macht – und das, was man dagegen tun kann. Die Verwandlung diffuser Ängste in konkrete, benennbare, beschreibbare Themen der Furcht helfen dabei, aus Trotz und Sorge und Abwehr zu neuen Ideen der Gestaltung zu kommen. Konkrete Schritte vereinbaren. Etwa: Wer sich nachts fürchtet, auf die Straße zu gehen, kann vom Begleitdienst profitieren, den wir im Stadtviertel organisieren.
4. „Community-Building“ (Gemeinschaft aufbauen; d. Red.). Menschen, die vereinsamt und unglücklich sind, denen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit fehlt, sehnen sich eher nach einfachen Lösungen und starken Führungspersönlichkeiten. Generationenübergreifende oder nachbarschaftliche Netzwerke, auch im Netz, geben Wohn- und Lebenssicherheit.
5. Darauf achten, dass kein bestimmter „Politsound“ (etwa „politischer Klang“; d. Red.) dominiert. Christinnen und Christen können unterschiedliche politische Präferenzen haben. Das muss deutlich werden. Aber auch die Grenzen der Politik und des Staates müssen Thema sein. „Die da oben“ sind nicht für alles, was im Leben schiefläuft, verantwortlich. Nur dann kann man auch über Grenzen reden. Diese Grenzen sind da erreicht, wo Menschen diffamiert, beschimpft und bedroht werden.
6. Christen steht es nicht zu, den Weltuntergang zu proklamieren. Das steht nur Gott zu. Apokalyptische Stimmungen vertragen sich nicht mit dem Geist des Evangeliums. Das ist trotzig antifatalistisch. Zuversicht ist das elfte Gebot. Predigen wir so, dass man uns das glaubt.

* Petra Bahr ist promovierte Theologin. Von 2006 bis 2014 war sie Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seit 1. September 2014 leitet sie die Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Am 1. Januar 2017 tritt sie im Bereich der Hannoverschen Landeskirche das Amt der Landessuperintendentin des Sprengels Hannover an. Petra Bahr wurde in Lüdenscheid geboren.