Fünf Wochen Extra-Ferien? Was verlockend klingt, sorgt im Norden Nigerias für eine hitzige Debatte. Ramadan-Ferien finden ausgerechnet dort statt, wo das Bildungsniveau ohnehin gering ist. Und betreffen auch Christen.
Es ist ein Monat der Enthaltsamkeit, der guten Taten, der Hingabe zu Gott und der Nächstenliebe – der Fastenmonat Ramadan. Davon ist in Afrikas Riesenstaat Nigeria, wo geschätzt 230 Millionen Menschen leben, aber nichts zu spüren. Im Norden, wo sich die Mehrheit der Bevölkerung zum Islam bekennt, wird gestritten wie selten. Mittlerweile diskutiert das ganze Land mit.
Kern des Streits sind fünf zusätzliche Ferienwochen in vier Bundesstaaten. Behörden in Kano, Katsina, Bauchi und Kebbi kündigten nigerianischen Medienberichten zufolge an, dass alle Grund- und weiterführenden Schulen bis nach dem Ende des Fastenmonats geschlossen bleiben. Teilweise wird auch von Schließungen in weiteren Bundesstaaten berichtet. Der Ramadan endet mit dem Fest des Fastenbrechens, das in diesem Jahr am 30. März beginnt. Auf Arabisch heißt es Eid al-Fitr; in Nigeria Sallah. Die Begründung: Die Schüler sollen ebenfalls die Möglichkeit zum Fasten haben.
In Katsina sagte Aminu Usman, Leiter der dortigen Scharia-Polizei Hisbah, laut einem Bericht von Channels TV, die Entscheidung betreffe auch Privatschulen. Damit sind auch Schüler betroffen, die sich zum Christentum bekennen.
Mittlerweile versucht die Landesregierung, die Wogen zu glätten und kündigte Mitte der Woche an, Extra-Unterricht anzubieten. Das Angebot richte sich vorwiegend an jene, die vor wichtigen Abschlussprüfungen stehen.
Doch die Kritik hält an. Denn Tradition hat das nicht. Die katholische Bischofskonferenz äußerte in einem Schreiben “große Sorge” über die Entscheidung einiger Gouverneure. Die Bischöfe betonen: “Die Entscheidung betrifft nicht nur Muslime, sondern auch Christen sowie christliche Schulen.” Auch werfe sie “ernste Fragen über den säkularen Charakter unseres Landes und die Rechte aller Bürger auf”.
Nigeria ist ein säkularer Staat. In der Verfassung heißt es, worauf auch die Bischofskonferenz hinweist: “Die Regierung der Föderation oder eines Staates darf keine Religion als Staatsreligion annehmen.” In der Praxis ist es anders. Denn Religion ist Identifikation – auch weil staatliche Strukturen gerade im ländlichen Raum wenig vorhanden sind und es an grundlegender Infrastruktur mangelt. Es fehlt an Schulen und Krankenhäusern. Die Sicherheitslage gilt längst überall als katastrophal.
Nach Informationen des in Ghana ansässigen Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer aus dem Jahr 2024 haben weitaus mehr Nigerianer (60 Prozent) Vertrauen in religiöse Meinungsführer als in Politiker. Nur gut jeder Vierte (27 Prozent) vertraut dem Präsidenten stark oder einigermaßen. Beim Parlament sind es 19 Prozent. Dass die umstrittene Entscheidung im muslimisch geprägten Norden in der Gesellschaft auf wenig Widerstand stößt, ist deshalb verständlich.
Alleine sind die katholischen Bischöfe mit ihrer Kritik nicht, im Gegenteil: Auch der Dachverband der christlichen Kirchen – dieser wird seit Jahren zunehmend von evangelikalen Vertretern geprägt – hat kein Verständnis für die Entscheidung. Präsident Daniel Okoh kritisierte vor Journalisten die mangelnde Transparenz der Entscheidung und betonte, dass selbst Länder wie Saudi-Arabien Schulen während des Ramadans nicht schließen würden. Weiter hieß es: Man überlege, juristisch dagegen vorzugehen.
Religion hin oder her: Kritiker betonen auch, dass es um die Schulbildung in Nigeria ohnehin schlecht bestellt sei. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef gehen 10,2 Millionen Mädchen und Jungen im Grundschulalter nirgendwo zur Schule. Dabei ist die sechsjährige Grundschule verpflichtend und theoretisch kostenfrei. Drei von vier Kindern zwischen 7 und 14 Jahren mangele es an grundlegenden Kenntnissen im Lesen und Schreiben. Seit Jahrzehnten wird betont: Betroffen ist vor allem der Norden, wo vielerorts auch die Armutsraten höher liegen.
Verbessert hat sich das in den vergangenen Jahren nicht, im Gegenteil: Im Nordosten haben Angriffe islamistischer Gruppen wie Boko Haram ebenso zu Schließungen geführt wie die Corona-Pandemie. Die Folgen gelten als katastrophal: Hilfsorganisationen warnen, dass geschlossene Bildungseinrichtungen die Zahl der Kinderehen steigen lassen. Wer ohne Bildung und somit Perspektiven ist, lässt sich nach Einschätzung von Sicherheitsexperten auch eher von kriminellen Gruppen anwerben.