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RAF-Regisseur Stein: Extremismus kennt nur Opfer

Regisseur Niki Stein blickt 50 Jahre nach dem RAF-Prozess zurück auf seine Jugend zwischen Polizeischutz und pubertärer Rebellion – und erklärt, warum sein Film kein bloßes Dokudrama ist.

Vor 50 Jahren begann der so genannte “Stammheim-Prozess”: Die RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe wurden wegen Mordes in vier und wegen versuchten Mordes in 54 Fällen angeklagt. Das Gerichtsverfahren war eins der aufwendigsten und längsten in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte und endete im April 1977 mit der Verurteilung der drei noch lebenden Terroristen – Meinhof hatte ein Jahr zuvor Suizid begangen.

Der Film “Stammheim – Zeit des Terrors” zeichnet die Geschehnisse von der Überführung Ensslins und Meinhofs im April 1974 in die neu gebaute Stuttgarter JVA bis zur so genannten “Todesnacht von Stammheim” im Oktober 1977 nach, als sich Baader, Ensslin und Raspe in der Haftanstalt das Leben nahmen. Die ARD strahlt den als “Dokudrama” angekündigten Film am Montag, den 19.5.25 von 20.15 bis 21.45 Uhr aus, im Anschluss ist die Dokumentation “Im Schatten der Mörder – Die unbekannten Opfer der RAF” zu sehen.

Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erzählt der Regisseur Niki Stein nun von seinen pubertären Sympathien für die Terroristen, weshalb er zwischenzeitlich mit Polizeischutz zur Schule eskortiert wurde – und was die RAF mit der Gegenwart zu tun hat.

Frage: Als die erste Generation der RAF aktiv war beziehungsweise im Gefängnis saß, waren Sie ein Jugendlicher. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Antwort: 1977 war ich 16 Jahre alt und lebte in Bonn. Mein Vater war selber Staatsanwalt, insofern war ich relativ nah dran: Ein paar Wochen lang wurde ich sogar von der Polizei zur Schule gebracht, das war mir furchtbar peinlich. Vor allem während der Schleyer-Entführung war Bonn eine Art Hochsicherheitstrakt.

Wenn man da abends spät mit dem Rad unterwegs war, konnte es passieren, dass hinter einem ein Polizeipanzer auftauchte und es hieß: “Keine Bewegung!” Und dann musste man extrem aufpassen, wie man sich verhielt. Wenn ich mich richtig erinnere, sind in der Zeit zwei oder drei Leute alleine in Bonn aus Versehen erschossen worden. Die Atmosphäre war wirklich sehr angespannt.

Einmal kam ein schwedisches Fernsehteam in unsere Schule, um mit uns Jugendlichen über die RAF zu reden. Da wurde gefragt, wer sympathisiert denn mit denen im Stammheim? Und da haben wir eigentlich alle aufgezeigt. Wir wussten eben auch, Schleyer, das war ein ehemaliger Untersturmführer, SS. Auf der anderen Seite waren aber die Mittel der RAF für mich völlig unakzeptabel: Dass etwa bei der Schleyer-Entführung vier völlig unbeteiligte Menschen auf der Strecke blieben und er später brutal ermordet wurde. Das war so eine pubertäre Zerrissenheit.

Frage: Weshalb sollten wir uns – jenseits des 50-jährigen Jubiläums des “Stammheim”-Prozesses – heute mit der Geschichte der RAF befassen?

Antwort: Wenn ich mich selbst als Referenz nehme, brauchte es wahrscheinlich die 50 Jahre, um wirklich “aus der Ferne” auf diese Zeit zu schauen: Von heute aus ist vieles nicht mehr nachzuvollziehen. Die Entgrenzung der Gewalt und diese “klammheimliche Sympathie” einer politisierten Jugend auf der einen Seite, und auf der anderen die Unfähigkeit einer Staatsmacht, die zu großen Teilen noch tief mit dem NS-Staat verbunden war, damit umzugehen.

Man muss sich das vor Augen führen: Ein Ministerpräsident, der Nazirichter war, ein Justizminister, der tätiges NSDAP-Mitglied war, ebenso wie der zuständige Staatssekretär… Dass das Argwohn bei uns Jungen auslöste, war klar. Und auf Seiten der RAF diese bedingungslose Unterordnung aller moralischer Skrupel unter die Sache, was zwangsläufig an die SS erinnert. Im Grunde wird in Stammheim die deutsche Schuld der Nazi-Zeit ausgeschwitzt – ohne dass ich da jetzt die phonetische Assoziation beabsichtige. Und das Thema ist längst nicht erledigt.

Als ich die Anfrage bekam, mich mit “Stammheim” zu beschäftigen, kam gerade der völlig unangebrachte Vergleich der “Letzten Generation” mit der RAF durch Alexander Dobrindt und andere auf. Zwei Jahre später haben wir im Westen eine Supermacht, die Verrohung, genau wie die andere Supermacht im Osten, die das schon seit Jahren tut, zur Staatsdoktrin macht. Und wir haben in unserem Land eine Partei, die Menschenverachtung politikfähig zu machen versucht.

Da ist man fast schon wieder so weit zu fragen, was kann man dem entgegensetzen? Aber soviel müssen wir aus der Geschichte der RAF natürlich gelernt haben, dass es andere Wege des Widerstandes als deren Morden geben muss! Vor diesem Hintergrund fand ich es richtig, die Protagonisten der ersten Generation in einer Art Kammerspiel als Menschen zu zeigen und sie in ihrer gelebten Form der Verrohung zu entmystifizieren.

Frage: Die RAF entwickelte sich aus dem Milieu der Studentenproteste heraus; am Anfang standen ja durchaus nachvollziehbare Punkte, wie etwa die Kritik an den schon erwähnten Karrieren von Alt-Nazis. Wann und wo sind Baader und Co. falsch abgebogen? Mit den Brandanschlägen auf zwei Frankfurter Kaufhäuser 1968? Oder erst später, als sich die Gewalt unmittelbar gegen Menschen richtete?

Antwort: Also wenn ich jetzt sagen würde, für mich ist das Anzünden von Kaufhäusern akzeptabel, ist das ja schon strafbewehrt (lacht). Aber ich würde schon sagen, das Abbiegen fand später statt. Und dieses Abbiegen hat, glaube ich, auch zu tun mit der Reaktion des Staates und mancher Medien auf die Studentenunruhen. Diese völlige Verteufelung, der Hass, den die Springerpresse da aufgebaut hat, was ja letztlich auch zu dem Anschlag auf Rudi Dutschke geführt hat.

Frage: Beim Thema RAF ist die Gefahr der Verklärung groß. Gab es Diskussionen zum Vorspann Ihres Films? Da werden die Terroristen wie Popstars eingeführt, mit ihren Sonnenbrillen, dem coolen Retro-Style, dem Song “Knockin” on heaven”s door”. Im weiteren Fortgang des Films entzaubern sie sich allerdings bald selbst…

Antwort: Die Diskussion gab es, und die habe ich relativ heftig geführt. Das, was Sie beschreiben, genau das wollte ich ja erreichen mit dieser filmischen Gestaltung. Es hieß vom Sender immer, mach den Film für Junge! Was ich extrem schwierig finde, das ist für jetzt 20-Jährige wirklich weit weg.

Ich wollte die Frage aufmachen, ich sag es mal platt: Was machen diese attraktiven Frauen mit ihren trendy Sonnenbrillen und schicken Mänteln in diesem Knast? Damit man darüber auch ein Interesse kriegt. Und man mit Fortgang des Films immer mehr erschrickt über das, was die gemacht haben, was da im Knast und draußen passiert. Dass der Zuschauer selbst in einen Erkenntnisprozess kommt, das finde ich toll und sehr modern. Nebenbei: Unsere Kostümbildnerin hat genau den Look aufgenommen, in dem die beiden damals da angekommen sind.

Frage: Die Entzauberung findet auch über die Sprache statt: Dieser vulgäre, menschenverachtende Ton im Umgang mit den Polizisten, aber auch untereinander…

Antwort: Ja, vor allem das F-Wort (“Fotze”, Anm. d. Red.): Das ist ja so in den Kassibern wiedergegeben, und das wurde während des Drehs immer wieder diskutiert, kann man das heute noch sagen? Ich finde schon, das ist ja ein zeitgenössischer Stoff, so war die Sprache. Irgendwann hat die Lilith dann gesagt, wenn ich das F-Wort nicht sprechen darf, dann spiele ich die Rolle nicht – und sie hatte recht!

Frage: Sie haben sich eng an die historischen Dokumente gehalten. Aber man muss natürlich auch bei einem Dokudrama verdichten, dramatisieren. Wie schwierig war diese Abwägung?

Antwort: Für mich sind Baader und Ensslin ein bisschen wie Macbeth und Lady Macbeth. Die haben ihre Gefolgsleute, die fordern Gehorsam, und Ulrike Meinhof ist so ein bisschen der Banquo, der ausschert. Das ist ja wirklich eine tolle Story: Ihre Waffe ist ihr eigener Körper, ist der Hungerstreik. Sie müssen “Märtyrer” schaffen, damit der Kampf draußen angefacht wird. Und das ist ja schon ein klarer Erzählbogen. Im Grunde ist mein Film gar kein Dokudrama. Ich habe immer ein bisschen Probleme mit dem Format gehabt und das hier, ehrlich gesagt, ein bisschen gekapert. Ich würde es eher als einen sich sehr stark am Dokumentarischen orientierenden Spielfilm bezeichnen.

Frage: Hat Ihr Film eine zentrale Aussage?

Antwort: Ich will damit exemplarisch zeigen, dass Extremismus nur Opfer kennt. Diese Botschaft finde ich in den Zeiten, in denen wir gerade leben, umso dringlicher. Auch in Bezug darauf, dass man vielleicht wieder über neue Widerstandsformen nachdenken muss.

Was ich mich in dem Zusammenhang auch immer wieder frage: Warum hat man keine Form des Dialogs gefunden? Ganz früh, nach den Brandstiftungen in Frankfurt – das wäre der Moment gewesen. Und das meine ich auch in Bezug auf die Opfer: Warum hat man sie allein gelassen, ihnen keinen Dialog angeboten? Das Interessante ist, sie haben den dann teilweise selbst gesucht, der eine Schleyer-Sohn etwa mit der früheren RAF-Terroristin Silke Maier-Witt, das finde ich ganz toll. Aber dieser Dialog ist nie wirklich moderiert worden, die Diskussion fehlt im Grunde bis heute.