Helga Bansch (59) nimmt am 28. September in der evangelischen Lambertikirche in Oldenburg den „Evangelischen Buchpreis 2016“ für ihr 2015 erschienenes Bilderbuch „Die Rabenrosa“ entgegen. Es wurde von der Jury ausgewählt aus 99 Titelvorschlägen von Leserinnen und Lesern. Über 40 Publikationen sind Ausweis des umtriebigen Schaffens der mehrfach ausgezeichneten österreichischen Illustratorin, Buchautorin und Künstlerin, die in Wien lebt und arbeitet. Die Fragen an sie zu ihrem beruflichen Werdegang, ihrer Arbeit und ihrem jetzt ausgezeichneten Buch, in dem das Anderssein kindgerecht thematisiert wird, stellte Uwe Herrmann.
Sie haben mal Kinder unterrichtet. Wie kam es zu der Entscheidung, 2003 den sicheren Lehrerberuf aufzugeben und fortan als Freischaffende Künstlerin zu arbeiten?
Zeichnen und Malen war schon als Jugendliche meine Obsession. Von der Kunst leben zu wollen, erschien mir aber zu kühn, also absolvierte ich nach dem Abitur die Pädagogische Akademie und wurde Lehrerin. Weil ich Kinder sehr mag, unterrichtete ich gerne. Der Lehrberuf ist eine tägliche Herausforderung. Ein spannender und fordernder Beruf.
Die Kunst verlor ich in diesen Jahren aber nie aus den Augen. Regelmäßiges Aktzeichnen, Teilnahme an unzähligen Kursen und Ausstellungen und ständiges Arbeiten war Programm. Ich ging, so könnte man sagen einen Umweg, um künstlerisch zu „reifen“.
Dieser Reifeprozess mündete in Bilderbüchern wie „Die Rabenrosa“ 2015. Was war dafür ausschlaggebend?
Die Idee zur Kinderbuchillustration ergab sich aus dem Interesse für Bilderbücher. Ich lernte Heinz Janisch (ein österreichischer Kinderbuchautor, Anmerkung der Redaktion) kennen, meine Illustrationen gefielen ihm und er schickte mir einen Text mit der Frage: „Hättest du Lust, ihn zu illustrieren?“ Und ob ich Lust hatte. Die Geschichte „Zack Bumm!“, im Jahr 2000 erschienen, wurde unser erstes gemeinsames Buch. Es bekam den Österreichischen Kinder-und Jugendbuchpreis und den Illustrationspreis der Stadt Wien und ist bis heute eines unser erfolgreichsten Bücher.
Nun folgte ein Buch nach dem anderen. Nach drei Jahren hängte ich den Lehrberuf an den Nagel, ich verlegte meinen Wohnsitz von der Südsteiermark nach Wien und wurde Freischaffende Künstlerin. Denn die Liebe zu Kindern und die Leidenschaft für Kunst lässt sich für mich in Bilderbüchern wunderbar vereinen.
Wie man sieht. Ihr Buch „Ein schräger Vogel“, das 2008 erschienen ist, handelt von einem Raben namens Robert, der in vielem anders ist als alle anderen seiner Art. Das Anderssein, aus der Vogel-Perspektive erzählt, ist auch Thema des jetzt ausgezeichneten Buches. Nur dass diesmal die Hauptfigur augenscheinlich ein kleines Mädchen ist, das da im Nest zusammen mit seinen gefiederten Stiefgeschwistern heranwächst und aus der Ich-Perspektive seine Geschichte erzählt. Wie kam es zu dieser Wandlung?
Das Anderssein ist sehr früh ein Thema für Kinder. Sobald sie sich als Person wahrnehmen, vergleichen sie sich mit anderen. Ich erachte es deshalb als ungemein wichtig, Kindern das Offen- und Aufgeschlossensein gegenüber dem Anderen, Fremden und von der Norm Abweichenden vorzuleben.
Denn Empathie für andere zu erlangen, aber auch zu lernen, sich selbst zu akzeptieren, sind essenzielle Bestandteile in der Persönlichkeitsentwicklung. Und ein Bilderbuch, in dem sich das Kind mit dem Protagonisten identifiziert, sich in dessen Lage versetzen kann, ist eine wunderbare Möglichkeit des Lernens. Die Ich-Perspektive habe ich gewählt, um die Rabenrosa noch intensiver als Identifikationsfigur erleben zu können.
Da spricht die Pädagogin aus Ihnen. Inwieweit identifizieren Sie selbst sich mit dieser kleinen Rabenrosa? Anders gefragt: Wieviel von Rabenrosa steckt in Ihnen?
Ich glaube, nicht nur in mir, sondern in jedem von uns steckt ein Stück Rabenrosa. Man unterscheidet sich ja von den anderen. Jeder ist eine eigenständige Persönlichkeit.
Was lässt sich mit einem Menschenkind als Protagonisten deutlicher, anders oder neu aussagen als es mit dem Rabenvogel Robert möglich gewesen wäre?
Nun, die Rabenrosa ist wirklich anders – wie von einem anderen Stern. So muss das wohl empfunden werden, wenn Fähigkeiten, die für uns ganz selbstverständlich sind, nicht erworben werden können. Dieses Nichtkönnen akzeptieren zu lernen, ist eine große Sache. Da braucht es eine liebevolle Umgebung und ein Rückzugsnest, in dem man sich geborgen fühlt.
Wenn Sie an die aktuelle Flüchtlingskrise denken, die ja auch in Österreich besonders nachwirkt, welche Botschaft möchten Sie Eltern oder Erziehern und Kindern vermitteln, die Ihr Buch zur Hand nehmen?
Es ist nicht so schwierig, Mitgefühl bei Kindern für eine Außenseiterin wie die Rabenrosa zu wecken. Man lernt sie im Buch kennen, leidet mit ihr und freut sich mit ihr. Ungleich schwerer ist es, dieses Mitgefühl für Menschen zu wecken, die einem fremd sind.
Aber es ist ein Gebot der Menschlichkeit, zumindest zu versuchen, sich in Situationen einzufühlen, in denen andere stecken. Oder darüber nachzudenken, wie es wohl wäre, wenn man selbst in dieser Lage wäre. Verständnis, Toleranz, Akzeptanz des Anderen, Offenheit für Neues undFremdes ist und bleibt eine lebenslange Herausforderung.
In Ihrem Bilderbuch stellen Sie eine Rabenrosa vor, die trotz ihres Andersseins von ihren Stiefeltern und -geschwistern akzeptiert ist. Und während andere Vögel/Tiere desungeachtet gute Ratschläge erteilen, wie aus ihr doch noch ein richtiger Rabenvogel werden könnte, entdeckt ihre Protagonistin die Vorteile ihres Andersseins, das sie selbstbewusst akzeptiert., und zieht daraus ihre Stärke.
In den Jahren in denen ich Integrationsklassen unterrichtete, erkannte ich, dass es in erster Linie gilt, herauszufinden, was Kinder können. Nicht Schwächen oder Handicaps ausmerzen zu wollen, sondern Talente, Stärken und Begabungen zu fördern. So lernt auch die Rabenrosa, nicht nur ihr Anderssein zu akzeptieren, sondern was viel wichtiger ist, sie entdeckt, was sie alles kann.
Mich hat schon immer gestört, wenn Menschen abgelehnt werden, weil sie anders sind, wenn nicht abgewartet werden kann, was hinter oder in der Person steckt, ihr keine Chance gegeben wird.
Was heißt das – wieder auf die aktuelle Situation bezogen – für Menschen anderer kultureller, religiöser, sozialer Herkunft, für die Integrationsfrage, für den Umgang miteinander?
Jeder Mensch ist gleich viel wert. Ich bin täglich herausgefordert mich in Gelassenheit, Toleranz und Akzeptanz zu üben und dem Anderssein offen, angstfrei, unvoreingenommen, respektvoll und wertschätzend zu begegnen. Und dasselbe darf ich auch vom anderen erwarten und einfordern.
Sie thematisieren Anderssein als Stärke. Doch in der Realität erleben viele ihr Anderssein als Schwäche, als etwas, das sie gesellschaftlich ausgrenzt, fehlt ein wärmendes Nest, wie es in Ihrem Bilderbuch Geborgenheit bietet.
Ja, das ist leider oft Realität. Deshalb verstehe ich mein Bilderbuch „Die Rabenrosa“ als einen kleinen Beitrag, um Erwachsene und Kinder für dieses Thema zu sensibilisieren und um zum Denken anzuregen.
Offen bleibt darin, woher die Rabenrosa kommt. Ungefragt wie ein Kuckuckskind ist sie plötzlich da. Könnte die Herkunftsfrage, die ihr Anderssein erklärt, Thema eines nächsten Bilderbuches sein?
Zu erklären, woher die Rabenrosa kommt, wäre etwas schwierig und ist in meinen Augen auch nicht notwendig. Es ist wie es ist. Das Beste aus einer Situation machen zu können, ist Lebenskunst. Die Rabenrosa stellt sich trotz schwieriger Ausgangssituation mutig, neugierig und voller Zuversicht neuen Herausforderungen. Rabenrosa statt rabenschwarz in die Zukunft – das ist ihre Botschaft an uns alle.