Er mahnt zu einer differenzierten Debatte. Rafael Seligmann geht hart mit der israelischen Regierung ins Gericht – und kritisiert zugleich Vorwürfe gegen das Land, einen Völkermord im Gazastreifen zu begehen.
Der jüdische Publizist Rafael Seligmann wendet sich gegen den “Genozid”-Vorwurf im Zusammenhang mit dem Krieg Israels gegen die Hamas im Gazastreifen. “Es ist legitim, gegen den Krieg Israels in Gaza zu protestieren. Das geschieht auch in Israel jeden Tag. Doch ein Genozid ist das nicht”, schreibt Seligmann im “Spiegel” (Samstag). “Der Begriff wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs für die planmäßige Ermordung des europäischen Judentums durch die Nationalsozialisten vom jüdischen US-Völkerrechtler Raphael Lemkin geprägt.”
Die Definition und der Tatbestand seien eindeutig: Genozid stehe für die systematische Vernichtung einer Schicksalsgemeinschaft, die als “Rasse” definiert worden sei, erklärte Seligmann. “Daher sind nach dem Holocaust Klagen wegen Völkermords selten. Selbst Gewaltherrscher in Syrien, Algerien oder im Jemen wurden in Den Haag nicht des Völkermords bezichtigt.”
Viele Studierende, die weltweit gegen einen angeblichen Völkermord Israels demonstrierten, täten dies nicht aus antijudaistischer Überzeugung, sondern weil sie dem “Zeitgeist” folgten, so Seligmann. Sie wollten es ihren Großeltern nachtun, die sich vor gut einem halben Jahrhundert vehement gegen den Vietnamkrieg der USA eingesetzt hätten. “Sie sollten jedoch bedenken, dass die Vereinigten Staaten nicht von Vietnam angegriffen wurden – das Land ist mehr als 13.000 Kilometer von Nordamerika entfernt. Die Israelis dagegen müssen seit dem Bestehen des jüdischen Staats mit Anschlägen und Terror leben”, so der Publizist nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober.
Seligmann mahnte eine differenzierte Diskussion an: “Sie ist besonders wichtig, weil die Versäumnisse der israelischen Politik, die Skrupellosigkeit und politische Kurzsichtigkeit von Premier Netanyahu außer Zweifel stehen.” Je eher Benjamin Netanyahu zurücktrete, desto besser sei dies für Israel. “Das Land wird den Judenstaat auch dieses Mal erfolgreich verteidigen – unter hohen menschlichen und katastrophalen politischen Verlusten.” Das Judentum außerhalb Israels jedoch erlebe seine wohl größte Katastrophe nach 1945. “Besonders in Europa ist es gefährdet.”
Mit Blick auf Deutschland schreibt Seligmann, dass auf den Straßen, in Hochschulen und der Kulturszene mit “betont gutem Gewissen das Ende der Schonzeit für Juden eingeläutet” worden sei. “Das sollte ein Alarmsignal sein, nicht nur für die Juden des Landes, sondern für die demokratische deutsche Gesellschaft insgesamt.”