Der Psychotherapeut und Neurowissenschaftler Ahmed Karim hat Eltern dazu ermutigt, Langeweile bei Kindern zuzulassen. „Langeweile ist der fruchtbare Boden, auf dem tolle Ideen entstehen“, sagte er am Dienstag beim Fachtag des CJD Baden-Württemberg in Stuttgart. Auf Reisen sollten Kinder nicht mit Spielen auf Tablets beschäftigt werden, diese Dauerunterhaltung sei schädlich. „Angst vor Langeweile ist etwas völlig Fatales, man muss zulassen, dass Kinder sich langweilen und sie nicht immer stimulieren.“
Oft sei es am Anfang am schwierigsten, die Langeweile auszuhalten, vor allem wenn sich das Gehirn an eine sofortige Lustbefriedigung gewöhnt habe, sagte Karim, Leiter der Arbeitsgruppe Neuroplastizität und Lernen an der Tübinger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Doch Dauerberieselung mache nur kurzfristig zufrieden, der „Dopamineffekt“ verpuffe sofort, wenn der PC oder das Tablet ausgeschaltet sei. Wer sich dagegen unterhalte oder beispielsweise durch Wortspiele seinen Eloquenz trainiere, profitiere davon sein ganzes Leben. „Was nützt es, wenn man das beste Handy besitzt, sich aber nicht ausdrücken kann?“
Viele Kinder und Jugendliche, mit denen er zu tun habe, hätten eine Handy- oder Computerspielsucht. Dies komme oft daher, dass sie sich in der Gesellschaft als Versager erlebten und in Spielen dagegen Erfolgserlebnisse hätten. „Der Stress aus der realen Welt wird verdrängt.“ Doch stundenlanges Spielen könne langfristig für einen falschen Schlaf- und Wachrhythmus und gestörte soziale Beziehungen sorgen. Wenn sich das Gehirn zudem an eine sofortige Lustbefriedigung gewöhnt habe, falle es schwerer, langfristige Ziele zu erreichen, wie beispielsweise den Abschluss einer Berufsausbildung, warnte Karim.
Der Fachtag des CJD Baden-Württemberg am Tag der seelischen Gesundheit (10. Oktober) stand unter dem Titel „Psychische Erkrankungen bei jungen Erwachsenen – gelingende Wege zur beruflichen Teilhabe“ und fand in Stuttgart vor Ort sowie als Livestream statt. Das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland (CJD) ist eines der größten Bildungs- und Sozialunternehmen in Deutschland mit nach eigenen Angaben 10.700 Mitarbeitenden an über 350 Standorten. Der CJD Baden-Württemberg betreut mit rund 860 Mitarbeitenden jährlich nahezu 3.500 Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen. (2410/10.10.2023)