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Politiker würdigen Kafka – “Stimme für Demokratie erheben”

Eine Ausstellung in Marbach bringt den Schriftsteller Franz Kafka näher. Für Kulturstaatsministerin Roth ist er wie ein Zeitgenosse. Ministerpräsident Kretschmann sagte, Kafkas Werk sei zeitlos und funktioniere weltweit.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und weitere Spitzenpolitiker haben bei der Eröffnung der Kafka-Ausstellung in Marbach zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen. Demokratinnen und Demokraten müssten zeigen, “dass wir stärker sind als die, die unsere Demokratie angreifen, beschädigen und schwächen wollen”, sagte Roth am Sonntag bei ihrer Rede im Literaturmuseum der Moderne. Sie fügte hinzu: “Wir sind mehr!”

Die Ausstellung “Kafkas Echo” zeigt bis 26. Januar mehr als 100 Exponate. Das Deutsche Literaturarchiv (DLA) präsentiert darin Briefe, Originalfotos und Manuskripte des Schriftstellers Franz Kafka (1883-1924), darunter dessen Handschrift zu “Der Prozess”. Am 3. Juni jährt sich Kafkas Todestag zum 100. Mal. Er stammte aus einer jüdischen Familie aus Prag und starb im Alter von 40 Jahren.

“Franz Kafka lebt”, sagte Roth. “Seit seinem Tod vor 100 Jahren heißt ihn jede neue Generation von Leserinnen und Lesern als ihren Zeitgenossen willkommen.” Bertolt Brecht und Thomas Mann würden zwar bis heute in Deutschland gelesen und seien auch im Ausland sehr bekannt. “Franz Kafka aber ist aufgestiegen zum berühmtesten deutschsprachigen Autor des 20. Jahrhunderts – weltweit gelesen, gefeiert und verehrt”, sagte die Kulturstaatsministerin.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, Kafkas Literatur habe “Zeitlosigkeit” erreicht und funktioniere universal. “Die ganze Welt findet sich in Kafkas Werk wieder. Und deshalb findet sich sein Werk in der ganzen Welt wieder.” Kafka schreibe über die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber Ämtern, Behörden und Verordnungen, über “das kalte Werk der Bürokratie”, über undurchschaubare Machtapparate und Willkür in totalitären Systemen.

Mit Blick auf aktuelle Geschehnisse fügte Kretschmann hinzu: “In einer Zeit, in der Menschen in der U-Bahn keine hebräischen Zeitungen mehr lesen, Menschen verprügelt werden, die Wahlplakate kleben oder Rechtspopulisten in die Parlamente einziehen”, müsse man die Stimme laut erheben “für Demokratie, für Vielfalt und vor allem für die Freiheit – den eigentlichen Sinn von Politik”.

Israels Botschafter Ron Prosor sagte in Marbach, Kafkas Einblicke in die Gesellschaft seien aktueller denn je. Umgehend kam Prosor auf den 7. Oktober 2023 zu sprechen. Der Angriff der Hamas auf Israel habe allen gezeigt, “dass die Hamas als Staatsräson die Vernichtung aller Juden und die Vernichtung des Staates Israel als formelles Ziel setzt”. Israels Staatsräson und Deutschlands Staatsräson sei hingegen, in Frieden und Sicherheit zu leben. Zugleich rügte Prosor: “Von der Kunst- und Kulturszene erfahren wir ohrenbetäubendes Schweigen.” Meinungs- und Kunstfreiheit würden “offenbar für israelische und jüdische Künstler nicht mehr gelten”.

Der tschechische Botschafter Tomas Kafka wies in einem Videogruß auf ein wenig bekanntes Charaktermerkmal Franz Kafkas hin: “Seine Fähigkeit, sich selbst nicht nur zu beobachten, sondern auch auf die Schippe zu nehmen, sehe ich gerade in den heutigen zunehmend egozentrischen Zeiten als sehr nützlich an.” Der Botschafter ist mit dem Schriftsteller nicht verwandt; der Vater des Diplomaten hat aber Werke Kafkas, der auf Deutsch schrieb, ins Tschechische übersetzt.