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Pfarrerin in Jerusalem: Sorge vor Israel-Iran-Krieg

Der Konflikt zwischen Israel und Iran ist eskaliert. Seit 13. Juni greift Israel den Iran aus der Luft an. Der Iran feuert Raketen auf Israel. Auf beiden Seiten gibt es auch Opfer unter Zivilisten.

Milena Hasselmann unterstützt Gemeindeglieder in Jerusalem
Milena Hasselmann unterstützt Gemeindeglieder in Jerusalemprivat

Sibylle Sterzik führte am 18. Juni ein Interview mit Milena Hasselmann. Sie arbeitet seit Anfang März mit ihrer Frau als Pfarrerin in Jerusalem an der Evangelischen Erlöserkirche und als Studienleiterin von „Studium in Israel“.

Frau Pfarrerin Hasselmann, wie bedrohlich erleben Sie die derzeitige Situation in Israel?
Milena Hasselmann:
Israel ist ein krisengeübtes Land. Die Kriseninfrastruktur ist gut ausgearbeitet und wurde problemlos aktiviert. Das bezieht sich auf die Anpassung von Alarm-Apps genauso wie auf den Ausbau von Bunkern sowie das Umstellen des gesamten Bildungsbereichs auf gute Onlineformate. Es gibt also ein gutes Netz, um mit der Bedrohung umzugehen. Zugleich ist es eine sehr angespannte und auch bedrohliche, bisweilen beängstigende Situation. Der eigene Radius ist sehr begrenzt, das Land befindet sich im Ausnahmezustand, man ist ständig darauf gefasst, dass ein neuer Alarm ertönt.

Bisher gibt es vor allem Einschläge in der Region Tel Aviv und im Norden.  Müssen auch Einwohner von Jerusalem bei Raketenalarm Bunker aufsuchen? Wie sind dort die Bedingungen?
Jerusalem steht nicht im Fokus der Angriffe. Trotzdem gibt es auch hier mehrfach täglich und nachts Raketenalarm und die Menschen gehen in die Schutzräume oder schlafen sogar dort. Es ist nicht primär die Angst vor direkten Einschlägen, die zu den Alarmen führt. Vielmehr sorgt man sich, dass Raketenteile, die durch den Zusammenstoß mit den Abwehrraketen entstehen, niedergehen können. Außerdem ist nie auszuschließen, dass Raketen doch– geplant oder versehentlich – Jerusalem zum Ziel haben. Die Schutzräume sind sehr unterschiedlich: Von wohnungsinternen Zimmern, die oft als Kinderzimmer genutzt werden, über Gemeinschaftsbunker im eigenen Wohnhaus, in denen man die Nachbarn wiedertrifft, bis hin zu öffentlichen unterirdischen Bunkern oder Parkhäusern, die aufgrund ihrer Beschaffenheit als Bunker zertifiziert sind. Die Bedingungen für die Bevölkerung und so auch die damit verbundene Belastung ist also sehr unterschiedlich.

Wie wird der Angriff Israels in Ihrer Gemeinde und unter Freunden diskutiert, der, wie Netanjahu sagt, geschieht, um die Nuklearfähigkeit Irans zu beenden? Es sterben wieder wie in Gaza Zivilisten in Israel und im Iran. Menschen flüchten um ihr Leben.
Der Angriff wird kontrovers und differenziert diskutiert. Die Bedrohung, die vom Iran ausgeht, ist unhinterfragt und so wird auch die Notwendigkeit, dagegen vorzugehen, weithin als zwingend angesehen. Besonders nach den Erkenntnissen vom 12. Juni, dass der Iran sich noch weniger als bisher gedacht an die Vorgaben der Internationalen Atomenergiebehörde gehalten hat. Diskutiert werden aber auch Form und Zeitpunkt des Angriffs, ebenso die Tatsache, dass durch diesen neuen Krieg das Leiden der Menschen in Gaza, das Schicksal der Geiseln und die Gewalt in der Westbank aus dem Blick geraten.

Wie nehmen Sie die Sorge Ihrer Gemeindeglieder als evangelische Pfarrerin auf?
Die Gemeinde hat sich in den letzten 2 Jahren stark verkleinert. Die Menschen, die jetzt noch hier sind, sind eng mit der Region und den Menschen verbunden. Wir halten momentan alle Gesprächs- und Begegnungsräume offen. Da seit dem Angriff auf den Iran Versammlungen nur eingeschränkt möglich sind und sich die staatlichen Regelungen ständig ändern, tun wir das vornehmlich digital. In der Gemeinde kommen schon immer Menschen zusammen, die mit den unterschiedlichen Seiten und Perspektiven der Konflikte hier in engem Kontakt stehen. Dadurch findet hier eine Art indirekte Begegnung statt, die direkt kaum noch möglich ist. Das geschieht nicht immer spannungsfrei, aber das entspricht ja auch der Situation. Wichtig ist, dass es überhaupt Orte gibt, an denen Menschen unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen wahrnehmen – und sei es vermittelt und das stärken wir auch jetzt, genauso wie wir natürlich allen Menschen, die es möchten, seelsorgerlich zur Seite stehen.

 Milena Hasselmann ist Pfarrerin an der Erlöserkirche in Jerusalem. Im Hintergrund der Felsendom mit der goldenen Kuppel
Milena Hasselmann ist Pfarrerin an der Erlöserkirche in Jerusalem. Im Hintergrund der Felsendom mit der goldenen KuppelIMAGO / Imagebroker

Wie reagieren Friedensinitiativen auf den militärischen Konflikt?
Die Friedensinitiativen sind eine beeindruckende Bewegung, gerade weil sie selbst in den immer schwierigeren Zeiten ihre Vision und Hoffnung mit trotziger Vehemenz hochhalten. Gleichzeitig sind auch sie natürlich frustriert und erschüttert, aber sie behalten ihr Engagement bei. Auch in diesen Tagen sind sie präsent und haben z.B. am 19. Juni online ein interreligiöses Friedensgebet abgehalten.

Deutschland will jetzt Deutsche ausfliegen lassen. Denken Sie oder Gemeindeglieder oder Studierende auch darüber nach Israel zu verlassen?
Die Ausreisemöglichkeit geschieht über Jordanien, was aber ein Wege-Risiko mit sich bringt, da man erstmal nach Amman kommen muss und die Gefahr, auf dem Weg von Raketenangriffen betroffen zu sein, immer besteht. Insofern ist die Abwägung keine leichte. In der Tendenz wollen die Menschen, die jetzt noch hier sind, hier bleiben – besonders in Jerusalem, aber je länger die Situation dauert, desto belastender ist sie und auch die Ungewissheit, wie lange es noch so gehen wird. Allen, die sich mit den Abwägungen beschäftigen, stehen wir natürlich in intensiven Gesprächen und gerade den Studierenden auch organisatorisch zur Seite.