Weihnachtsmann und Christkind kommen mit Paketen beladen. So wie Postbote Cedrice in Berlin fast jeden Tag. Er hat in seinem jungen Leben bisher etwa 600.000 Pakete ausgeliefert. Ein Blick über seine Schulter.
Nein, wie der Nikolaus auf nostalgischen Postkarten sieht Cedrice Vontade nicht gerade aus. Kein weißer Rauschebart, stattdessen zwei glitzernde Ohrstecker und kurzes braunes Haar über rot-gelber DHL-Fliesjacke. Der 36-jährige ist Paketzusteller bei der Deutschen Post in Berlin-Marzahn im Nordosten der Hauptstadt.
“Ich mag meine Arbeit”, sagt Cedrice zufrieden, als er an diesem klaren Dezembermorgen in der Halle der Zustellbasis große und kleine Pakete vom Fließband nimmt, den Code scannt und sie – nach Adressen sortiert – in sein Fahrzeug in die Regale stapelt. Das gelbe Postauto steht mit offenem Laderaum an der Einladestation – einer passgenauen Tür, die in das Verteilerzentrum führt. Mehr als 230 Pakete sind es heute, deutlich mehr als zum Beispiel an typischen Hochsommer-Tagen: Denn bald ist Heiligabend.
Baumkuchen aus Salzwedel, Lebkuchen aus Nürnberg, einige Verpackungen, die auf Kleidung schließen lassen, und vieles, was man nicht zuordnen kann. Das allermeiste wurde im Netz bestellt – aber “so richtige Weihnachtspäckchen” von der Oma gebe es auch noch: Die kämen meist erst kurz vor Weihnachten, sagt Cedrice.
Der bislang bundesweite Paket-Rekord wurde am 2. Dezember aufgestellt, kurz nach dem Black Friday. 12,4 Millionen Paketsendungen gab es an diesem Tag – demnach mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Deutschen Post. Allein bei DHL bewältigen die tägliche Zustellarbeit mehr als 100.000 Paketauslieferer aus rund 80 Nationen.
Cedrices Postauto ist voll, die Fahrt geht los. Er hat sein festes Revier und beginnt um die Ecke: ein Mehrfamilienhaus in der Alfred-Kowalke-Straße. Erst klingelt er unten an der Haustür bei allen Parteien, die ein Paket bekommen sollen. Dann nimmt er schwer beladen zwei Stufen auf einmal in den fünften Stock und arbeitet sich von oben nach unten durch. Türen öffnen und schließen sich. Im Hausflur riecht es nach Essen, manchmal auch muffig-ungelüftetet.
Cedrice weiß, wer in der Regel morgens zu Hause ist oder wer für seinen Nachbarn grundsätzlich kein Paket annimmt, weil er ihn nicht mag. “Das hat man so drinne”, sagt er. Die kurzen Begegnungen an der Tür lassen ihn am Lauf des Lebens von vielen Menschen teilhaben: die schwangere Frau, die bei der nächsten Auslieferung nicht mehr schwanger ist, sondern mit Säugling auf der Schulter öffnet. Schulkinder, die zu Teenies werden. Kunden, die plötzlich verschwinden, weil sie umgezogen oder gestorben sind.
Als junger Mann ließ sich Cedrice erst zum Koch ausbilden – Gulasch ist eines seiner Leibgerichte. Vor zwölf Jahren wurde er dann Zusteller. Schätzungsweise rund 600.000 Pakete hat er seitdem ausgeliefert. Auch ausgezeichnet wurde er, der immer gelassen und freundlich bleibt, wie Kollegen erzählen: Er gehört zu Deutschlands 200 besten DHL-Paketboten, wurde dafür auch in die Bonner Postzentrale eingeladen, erinnert er sich stolz.
Längst ist der große, breitschultrige Mann Teamleiter für 40 andere Paketauslieferer. Der Job sei aber nicht für jeden etwas, erzählt er leicht schmunzelnd: “Ich hatte mal einen Azubi, der hat sich schon nach zwei Stunden Paket austragen verabschiedet.” Jetzt, zur Weihnachtszeit, ist Cedrice auch dafür zuständig, Saisonkräfte etwa aus Kirgistan, Georgien oder Polen einzuweisen.
Täglich arbeitet er von 7.00 bis 15.30 Uhr. Er mag an seiner Arbeit vor allem das Autofahren und dass er rauskommt. Um fit zu bleiben, treibe er viel Sport. “Ich brauche den Ausgleich”, sagt er. “Das Tragen und Steigen geht sonst ganz schön aufs Skelett.”
Geboren und aufgewachsen ist er im Osten Berlins, in Hohenschönhausen. Seine Mutter ist Berlinerin, der Vater stammt aus Mosambik. “Portugiesisch spreche ick aber nicht”, berlinert Cedrice. Nur zum Urlaub sei er mal da gewesen.
Manche Kunden seien nicht sehr freundlich, gibt er zu – “besonders, wenn es ums Parken geht”, sagt Cedrice. Man dürfe sich nicht alles zu Herzen nehmen, müsse sich ein dickes Fell wachsen lassen. “In solchen Fällen stehe ich drüber”, sagt er. Trotzdem könnten schlimme Dinge passieren: Ein Kollege von ihm sei in Mitte einmal von einem Kunden mit dem Messer bedroht worden. Es gibt aber auch andere: diejenigen, die ihm kleine Weihnachtsgeschenke machen, die jedes Mal Trinkgeld geben und ihm auf der Treppe entgegenkommen. “Darüber freue ich mich, aber das müssen die Leute natürlich nicht. Das ist schließlich mein Job.”
Im dritten Stock des nächsten Wohnhauses öffnet ein Mann mittleren Alters in Jogginghose und T-Shirt die Tür und strahlt, als er Cedrice sieht. “Endlich bist du wieder da”, sagt er. Mit der Vertretung sei er gar nicht zufrieden gewesen, der andere habe das Paket einfach unten abgestellt, beschwert er sich.
Ein bisschen ist Cedrice auch Seelentröster. Im Seniorenheim ein paar Straßen weiter wollten die alten Menschen manchmal mit ihm reden, wenn er klingelt. “Da bin ich dann schon im Zwiespalt”, bedauert er. “Ich kann mich da aber nicht lange drauf einlassen.” Allzu viel Zeit bleibt ihm beim Ausliefern nicht, sonst schafft er sein Pensum nicht. Trotzdem: “Es dauert eben so lange, wie es dauert.”
So ist es auch heute bei einer älteren Kundin. Ein Rollator steht auf dem Gang vor der Tür. Cedrice klingelt und wartet geduldig: “Sie braucht ein bisschen länger”, erklärt er. Schließlich öffnet sich die Tür, er gibt der alten Dame das Paket, sie drückt ihm einen Schokonikolaus in die Hand. “Den bekommt meine Tochter”, sagt Cedrice.
Manchmal wird der Paketbote getrackt: Auch jetzt haben sich vor dem Postwagen schon Kunden versammelt, die eigentlich noch gar nicht dran sind. Im Internet können sie verfolgen, in welcher Straße sich das Postauto mit der bestellten Lieferung gerade aufhält.
Ruhig und routiniert händigt Cedrice die bestellte Ware aus. “Fröhliche Weihnachten”, sagt er und schließt die Tür zu seinem Laderaum. Dann fährt er davon, um dem nächsten Kunden sein Paket zu bringen.