Artikel teilen:

Ottilie Hoffmann: Mit Milch und Kaffee gegen Schnaps und Bier

Sie war Sozialreformerin und eine Galionsfigur der deutschen Abstinenzbewegung: Die Bremerin Ottilie Hoffmann (1835-1925) warnte öffentlich vor den Gefahren des Alkoholmissbrauchs. Sie redete aber nicht nur, sie handelte auch. „Ihr Vermächtnis lebt in vielen Einrichtungen fort, die sich für Frauenrechte, Bildung und Suchtprävention einsetzen“, sagt Waltraud Wulff-Schwarz, Vorsitzende des Bremer Vereins Ottilie Hoffmann. Vor 100 Jahren, am 20. Dezember, starb die Gründerin des Deutschen Frauenbundes für alkoholfreie Kultur.

Ottilie Hoffmann war eine beeindruckende Erscheinung. Das zeigt ein Bild von ihr im obersten Stockwerk des Nachfolgevereins des Frauenbundes, der Selbsthilfeorganisation „Frau. Sucht. Hilfe“ in der Bremer Herderstraße: Ausdrucksstarkes Gesicht, kräftige Nase, klarer Blick. Wenn es sein musste, so ist es überliefert, stieg sie für den Kampf gegen den Alkohol auf Tische und Bänke und sprach Menschen auf der Straße und im Zug auf deren Trinkverhalten an. „Ihr Leben erinnert uns daran, wie wichtig zivilgesellschaftliches Engagement ist, damals wie heute“, betont Waltraud Wulff-Schwarz.

„Die Enthaltsamkeit von berauschenden Getränken ist uns nichts anderes als das Anpassen unserer Lebensführung an Gottes Gebot und an das Gebot der Nächstenliebe“, ist Ottilie Hoffmann überzeugt. Die gebürtige Bremerin und Tochter aus großbürgerlichem Haus besucht eine höhere Mädchenschule und wird Lehrerin. In England übernimmt sie die Erziehung von zwei Töchtern einer aristokratischen Familie und lernt die adelige Lady Rosalind Howard, Countess of Carlisle kennen – und mit ihr die Ideen der Mäßigkeits- und Abstinenzbewegung.

Die Pädagogin ist fasziniert vom Engagement gegen die Trunksucht und begeistert sich in England für Initiativen, die Gaststätten in Lese- und Teestuben umwandeln.1890 kommt sie zurück in ihre Heimat und sieht beim Aufbau der nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung in der Stadt eine ganze Reihe schwerer Unfälle wegen Trunkenheit. Überhaupt setzen viele Arbeiter ihren Lohn gleich in der nächsten Kneipe in Alkohol um, was ganze Familien in Not und Verzweiflung stürzt. Oft geht die Trunksucht mit Gewalt einher.

Ottilie Hoffmann reagiert spontan und errichtet einen Glaspavillon mit einem Ausschank für Milch, Kaffee, Bouillon und Erbsensuppe. 1891 gründet sie den „Bremer Mäßigkeitsverein“, der 1915 umbenannt wird in „Verein für alkoholfreie Speisehäuser“. 1900 ruft sie den „Deutschen Bund abstinenter Frauen“ ins Leben, ab 1924 „Deutscher Frauenbund für alkoholfreie Kultur“. Er wird zum Vorbild für die Gründung weiterer Sektionen in anderen Städten des Kaiserreichs.

So taten sich unter anderem in Augsburg, Berlin, Kiel, Braunschweig, Bielefeld, Münster und Hamburg abstinente Frauen im Kampf gegen den Alkoholismus zusammen. „Nach 12 Jahren hatten sich 40 Ortsgruppen etabliert“, schreibt die Bremer Sozialwissenschaftlerin und Historikerin Hannelore Cyrus (1935-2020) in einem Aufsatz über Ottilie Hoffmann und den Frauenbund.

Ottilie Hoffmann richtet in Bremen mehrere alkoholfreie Speisehäuser mit einem gesunden und günstigen Mittagstisch ein. Andere Städte folgen, auch mit mobilen Initiativen wie einem „Milchwagen“ der Ortsgruppe in Hamburg. Ihr Erkennungszeichnen wird eine weiße Schleife, die sich unter anderem auf dem Porzellan in den Gaststätten wiederfindet. Überall hieß es: „Komm, wir gehen nach Ottilie.“ Andere Zeitgenossen hatten vor allem Spott übrig: „Die weiße Schleife zeigt es jedem, dass sie dem Apfelmost ergeben.“

Eine Perle des Frauenbundes ist seinerzeit das Ottilie-Hoffmann-Haus am Bremer Osterdeich in herrlicher Lage mit Blick auf die Weser. Es fällt durch seine runde Architektur auf und verfügt sogar über ein „Stillstübchen“. Speise- und „Milchhäuser“ entwickeln sich vor allem für ärmere Familien zu einer wichtigen Stütze. Allerdings werden viele durch den Krieg zerstört.

Am 20. Dezember 1925 stirbt Ottilie Hoffmann und wird auf dem Riensberger Friedhof in Bremen beigesetzt. Auf ihrem Grabstein steht ihr Lebensmotto, biblisch abgeleitet: „Wirket, so lange es Tag ist.“ Was so viel heißt wie: Unternehmt etwas, solange es noch geht. Im Bremer Ostertor erinnert ein Denkmal an ihr Lebenswerk. Das letzte Ottilie-Hoffmann-Haus am Osterdeich gleich neben dem Stadion von Werder Bremen stellte 1983 den Betrieb ein. Das längst modernisierte Gebäude existiert aber immer noch und beherbergt wieder eine Gastronomie – mittlerweile mit Alkohol auf der Karte.

Und bis heute, 125 Jahre nach Gründung des Frauenbundes, führt der Verband „Frau. Sucht. Hilfe“ die Arbeit von Ottilie Hoffmann weiter. „Wir wollen suchtkranke und angehörige Frauen stärken“, sagt Leiterin Andrea Göritz. Initiativen gibt es nicht nur in Bremen, sondern auch in Frankfurt/Main und Moers sowie in Kamp-Lintfort und Neukirchen-Vluyn am Niederrhein. „Unter Frauen lässt sich einfach leichter reden“, weiß die Landes- und Bundesvorsitzende. Neben den Selbsthilfegruppen bietet der Verein Einzelgespräche an sowie Freizeitangebote, als Vor- und Nachsorge. Wie einst in den Speisehäusern von Ottilie Hoffmann lautet die wichtigste Regel bei allen Treffen: kein Alkohol.