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Ostbeauftragte: Viele Jüngere wollen negatives Ost-Image ändern

35 Jahre Einheit, aber viele Brüche: Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Elisabeth Kaiser, blickt auf Erfahrungen ihrer Generation. Was sie alarmiert, wo sie positive Aufbrüche sieht und wie das DDR-Erbe fortwirkt.

Wie nimmt eigentlich die Generation der Wendezeitkinder das Zusammenwachsen von Ost und West wahr? Zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit richtet die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Elisabeth Kaiser (SPD), den Fokus ihres ersten Jahresberichts, der an diesem Mittwoch veröffentlicht wird, auf die eigene Generation. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht die Staatsministerin über eigene Erfahrungen, anhaltende Vorurteile, neue konstruktive Stimmen in der Debatte und warum das DDR-Erbe uns noch lange begleiten wird.

Frage: Frau Staatsministerin Kaiser, wie hat Sie die Deutsche Einheit geprägt? Im Oktober 1990 waren Sie selbst drei Jahre alt.

Antwort: Die Wiedervereinigung war auch für mich ein zentrales Ereignis in meinem Leben, auch wenn ich sie damals nicht bewusst erlebt habe. Ich verdanke ihr ein Aufwachsen in Freiheit und damit eine freie Wahl meiner Ausbildung und meines späteren Berufs. Meine Auslandsaufenthalte in Belgien, Frankreich und Großbritannien während meines Studiums waren für mich prägend und wären in dem Staat, in dem ich geboren wurde, nicht möglich gewesen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Aber die Kehrseiten gab es auch. Wie bei vielen anderen habe ich auch in meiner Familie nach der Wiedervereinigung Brüche miterlebt. Angehörige verloren ihre Arbeit und gingen später einer Beschäftigung nach, die weit unter ihren Qualifikationen lag. Viele Menschen mussten sich komplett neu orientieren. Das war sehr hart, und die Erlebnisse aus dieser Zeit leben weiter im kollektiven Gedächtnis der Ostdeutschen.

Frage: Wie nehmen Sie die Ost-West-Debatte heute wahr?

Antwort: Die Debatte über Ostdeutschland ist immer noch von vielen Vorurteilen geprägt, das ist schade. Ebenso schade ist, dass häufig nur Ostdeutsche über Ostdeutschland sprechen. Das möchte ich ändern. Denn viele Themen und Herausforderungen, die es im Osten heute gibt, werden den Westen auch noch beschäftigen. Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel zum Beispiel. Und die Frage, wie man die Lebensbedingungen im ländlichen Raum sichert. Dazu kommen sinkendes Vertrauen in die staatlichen Institutionen unserer Demokratie und Zuspruch für populistische Parteien. Auch hier gilt: Es ist kein rein ostdeutsches Problem.

Was mir gefällt ist, dass sich inzwischen viele jüngere Stimmen zu Wort melden und das negative Image des Ostens verändern wollen, ohne die Vergangenheit zu verklären. Es gibt auch neue spannende Bücher über Ostdeutschland, von Aron Boks, Lukas Rietzschel, Paula Fürstenberg oder Alexander Prinz. Grundsätzlich wünsche ich mir mehr Interesse und mehr Austausch zwischen Ost und West. Genau dafür entsteht auch das “Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation” in Halle, das wir gerade aufbauen.

Frage: Sind wir inzwischen eine Einheit? Wie viel Unterschied tut uns vielleicht auch gut?

Antwort: Deutschland ist vielfältig, darin liegt unsere Stärke. Das betrifft nicht nur die Bundesländer, sondern auch die verschiedenen Regionen. Es gibt nicht DEN Osten, genauso wenig wie DEN Westen. Es ist klar, dass Mentalitätsunterschiede oder bestimmte geteilte Erfahrungen bleiben werden, auch für Ostdeutschland.

Wichtig ist mir, dass strukturelle Unterschiede, etwa bei den Löhnen, beim Vermögen oder bei dem Anteil der großen Dax-Konzerne, aktiv abgebaut werden. Noch immer meinen zwei Drittel der Ostdeutschen, dass Ostdeutsche als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Für mich ist das ein Alarmsignal. Meine Aufgabe als Ostbeauftragte ist es deshalb, am Kabinettstisch die Interessen der Ostdeutschen aktiv zu vertreten. Unter anderem will ich erreichen, dass mehr Ostdeutsche in Führungspositionen sind.

Frage: Was wünschen Sie sich zu 50 Jahren Deutscher Einheit in 15 Jahren?

Antwort: Dass wir es geschafft haben, strukturelle Ungleichheiten abzubauen und im ganzen Land die demokratischen Institutionen und das Engagement zu stärken. Und dass es weiterhin regionale Besonderheiten gibt, wir aber damit weniger Vorurteile verbinden. Aber ich bin mir auch sicher, dass wir auch in 15 Jahren noch gesellschaftliche Debatten über das Erbe der DDR und die Folgen der gravierenden Umbrüche haben werden. Weil das ein Teil unserer gemeinsamen Geschichte ist.