Darf eine religiöse Wohlfahrtsorganisation in den USA steuerlich begünstigt werden, wenn sie überwiegend säkulare Aufgaben übernimmt? Um diese Frage geht es in einem Rechtsstreit im Bundesstaat Wisconsin, in dessen Zentrum die Catholic Charities stehen. Der Fall hat das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten erreicht und soll verhandelt werden.
Umstritten in “Catholic Charities Bureau v. Wisconsin Labor & Industry Review Commission” ist vor allem die Definition religiöser Tätigkeit. Der Oberste Gerichtshof von Wisconsin hatte entschieden, dass die katholische Wohlfahrtsorganisation keine Steuerbefreiung verdient, weil ihre Aktivitäten nicht “primär religiös” seien. Die Richter begründeten dies damit, dass die Organisation “nicht versucht, den katholischen Glauben an Programmteilnehmer zu vermitteln oder religiöses Material an Programmteilnehmer oder Mitarbeiter auszuhändigen”.
Religionsfreiheit seit 2012 auf Siegesserie am Supreme Court
Der “Becket Fund for Religious Liberty”, der die katholische Wohlfahrtsorganisation vertritt, hofft, dass der Streit zugunsten von Catholic Charities entschieden werden könnte. “Religionsfreiheit befindet sich seit 2012 auf einer Siegesserie am Supreme Court“, sagte Eric Rassbach, ein Anwalt der Organisation, der New York Times. “Sie steht bisher nicht auf einer Stufe mit der Redefreiheit, kommt ihr aber immer näher.”
Der zweite Fall könnte noch tiefgreifendere Auswirkungen haben. In “Oklahoma Statewide Charter School Board v. Drummond” geht es Ende April um die grundsätzliche Frage, ob sogenannte Charter Schools explizit religiös ausgerichtet sein dürfen. Dabei handelt es sich um Schulen in freier Trägerschaft, deren Bau und Betrieb vom Staat finanziert werden. Sie erhalten eine “Charter” – eine Art Betriebserlaubnis oder Vertrag mit dem Bundesstaat oder der lokalen Schulbehörde -, die ihnen Autonomie bei Lehrplan, Personal, Budget und pädagogischen Methoden gewährt. Gleichzeitig müssen sie als Gegenleistung bestimmte Leistungsstandards erfüllen und werden regelmäßig evaluiert.
Konkret entzündete sich der Streit an der katholischen “St. Isidore of Seville Catholic Virtual School”, die vom Erzbistum Oklahoma City und dem Bistum Tulsa betrieben wird. Ihr Lehrplan sieht ausdrücklich vor, in der Schule den katholische Glauben zu vermitteln.
Lehrmittel: Befugnisse von Eltern und öffentlichen Schulen
Im dritten Fall, “Mahmoud v. Taylor”, geht es um die Frage, ob die Verfassung Eltern von Schülern öffentlicher Schulen das Recht gibt, ihre Kinder von Unterrichtsdiskussionen über Bücher zu befreien, die sich mit schwulen, lesbischen oder anderen sexuellen Minderheiten befassen. Die Montgomery County Public Schools, der größte Schulverbund in Maryland, hatten die Bücher im Herbst 2022 eingeführt. Anfangs gaben die Schulverwaltungen den Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder vom Unterricht zu befreien, wenn die Lehrmaterialien zum Einsatz kamen. Ein halbes Jahr später machten die Behörden die Teilnahme dann obligatorisch.
Mehrere Eltern, darunter Katholiken und Muslime, klagten mit der Begründung, die neue Politik schränke ihre religiösen Rechte ein. Die Anwälte des Schulverbunds halten dagegen, Anträge auf Abmeldung seien nur schwer zu verwalten, führten zu hohen Abwesenheitsraten und trügen zur Stigmatisierung von Schülerinnen und Schülern bei, die einer sexuellen Minderheit angehören.
Rolle des Glaubens im öffentlichen Leben
Seit Amtsantritt des Vorsitzenden Richters John G. Roberts Jr., eines Katholiken, stärkt der Supreme Court konsequent die Rolle des Glaubens im öffentlichen Leben. Die Quote der religionsfreundlichen Urteile stieg seit dessen Amtsantritt 2005 auf 86 Prozent. Ob die bemerkenswerte Siegesserie religiöser Anliegen vor dem Obersten Gericht fortgesetzt wird, dürfte sich in den kommenden Wochen entscheiden.
Die Urteile könnten das Verhältnis von Religion und Staat in Amerika für lange Zeit prägen. Für die katholische Kirche und ihre Einrichtungen in den USA könnte diese Entwicklung weitreichende Konsequenzen haben – von Fragen der Besteuerung über die Bildungslandschaft bis hin zur Auseinandersetzung mit christlichen Hardlinern.