Im Jahr 2020 wurden in Deutschland rund eine Millionen mehr Haustiere angeschafft als im Jahr davor. Die Sorge, viele dieser «Corona-Tiere» könnten nun bald wieder abgegeben werden, begleitet die tägliche Arbeit in vielen Tierheimen.
Frankfurt a. M. (epd). Hermine ist ein weiß-grauer Nymphensittich, nur vergisst der kleine Vogel mit der Irokesenfrisur auf dem Kopf das anscheinend manchmal. «Ich glaube, sie denkt, sie ist ein Kaninchen», sagt Sabine Urbainsky, Leiterin des Tierheims Fechenheim in Frankfurt, und lacht. Zumindest übernehme der Nymphensittich gerne mal einen Futtercheck bei den kleinen Nagern. Hermine ist als
Fundtier ins Tierheim gekommen – und wird dort wohl auch bleiben. Sie ist der Liebling der Tierpflegerinnen im Kleintierhaus, darf in den Räumen im Obergeschoss frei herumfliegen oder spazieren gehen. Für den Nymphensittich wurde eigens eine Schleuse vor die Eingangstür gebaut: «Damit Hermine nicht ausbüxt.»
Dass sie zurzeit öfter mal beim Kaninchenfutter vorbeischaut, liegt auch daran, dass im Tierheim außergewöhnlich viele Kaninchen untergebracht sind, rund 30. Insgesamt ist das Kleintierhaus mit gut 150 Tieren fast doppelt so voll wie üblich: Kaninchen, Papageien, Kanarienvögel, Wellensittiche, in den vergangenen Wochen kommen vermehrt auch Ratten, Meerschweinchen sowie Reptilien wie Schildkröten, Bartagamen und Schlangen.
Die Abgabe von Kleintieren sei derzeit auffällig, sagt Simone Faust, stellvertretende Leiterin des Heims, das vom Tierschutzverein Frankfurt am Main und Umgebung 1841 getragen wird. Sie führt dies auf die Urlaubszeit zurück – und auf die Rückkehr einiger Beschäftigter aus dem Homeoffice ins Büro. Für die Tiere, die während des coronabedingten Lockdowns quasi als Gesellschaft angeschafft worden seien, bleibe nun keine Zeit mehr.
«Viele Abgabetiere sind nicht ausreichend geimpft oder kommen teils mit Erkrankungen zu uns», sagt sie. Für die nicht geimpften Tiere bedeute dies, in einer für sie ohnehin schweren Situation auch noch in Quarantäne zu sein. Mit viel Engagement und Herzblut kümmert sich das Team des Heims um alle Tiere, versucht trotz der täglich anfallenden Arbeiten jedem Streicheleinheiten, Spielzeit und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Hunde und Katzen würden derzeit nicht in größerer Zahl als normal abgegeben, erzählt Faust. Doch die Angst davor schwebe wie ein Damoklesschwert über der täglichen Arbeit. Denn noch sind in der Metropole Frankfurt nicht alle Beschäftigen wieder in den normalen Büro- und Arbeitsalltag zurückgekehrt. «Und gerade Hunde können nicht den ganzen Tag alleine gelassen werden.»
Die Sorgen sind berechtigt, weiß Lea Schmitz. Sie ist Pressesprecherin des Deutschen Tierschutzbundes, dem Dachverband von mehr als 740 Tierschutzvereinen und rund 550 Tierheimen. Nach den Zahlen des Industrieverbandes Heimtierbedarf, sagt sie, seien 2020 in Deutschland gut eine Millionen mehr Haustiere angeschafft worden als im Jahr davor. Und dies seien nur die offiziellen Zahlen. Nicht berücksichtigt sei zum Beispiel die Anschaffung von Haustieren, die über Internethandel gekauft worden seien.
Wie sich dies alles auswirken werde, sei nur schwer vorherzusagen. «Rückfragen haben gezeigt, dass es unter den Tierheimen einen gemeinsamen Tenor gibt: die Sorge davor, dass viele dieser Tiere wieder abgegeben werden», sagt Schmitz. In manchen Tierheimen sei dies bereits Realität geworden, wie in Bremen, Kiel oder Salzgitter – mit der Konsequenz, dass die Einrichtungen wegen Überfüllung einen
Aufnahmestopp verhängt hätten.
Soweit ist es in Frankfurt-Fechenheim noch nicht gekommen. Aber: «Immer wieder haben wir während des Lockdowns sehr unseriöse Anfragen von Menschen bekommen, die sich während der Zeit des Homeoffice ein Tier aus dem Heim holen wollten, um es danach wieder zurückzugeben», erzählt Simone Faust. Auch Familien wollten für ihre Kinder Hunde oder Katzen ausleihen. Dass so etwas nicht gehe, verstehe sich doch eigentlich von selbst. Ein Haustier zu nehmen, bedeute Verantwortung zu tragen. Viele machten sich dies nicht bewusst.
Jedes Tier im Heim in Frankfurt-Fechenheim hat seine ganz eigene, traurige Geschichte, nicht immer ist der Grund für die Abgabe bekannt. Oft haben ihre Besitzer sie ausgesetzt, wie die zwölf Meerschweinchen, die von einem Spaziergänger in einem Karton am Waldrand entdeckt wurden und mittlerweile Nachwuchs bekommen haben.
Der junge rote Kater, der im Katzenhaus durch die Gänge streift, hat Glück gehabt. Noch einen Tag muss er warten, bis ihn seine neue Familie abholt und mit nach Hause nimmt. Einer, der ganz sicher darauf hofft, dass er auch bald in ein neues Zuhause ziehen darf, ist Gustav. Schüchtern blickt die überwiegend weiße Katze mit großen Augen aus ihrem Gehege heraus und maunzt, ganz so, als ob sie sagen
würde: «Kannst du mich nicht bitte mitnehmen?»