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„Noch ist Polen nicht verloren“

Die Entmachtung des Verfassungsgerichtes. Die Gleichschaltung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Die neu gewählte Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) gönnt sich keine Pause. Doch der Widerstand gegen den Umbau des Staates wächst

picture alliance / dpa

Das Café am Rande der Krakauer Altstadt ist bis auf den letzten Platz gefüllt, doch noch immer strömen Menschen hinein. Sie sind in Mäntel eingehüllt, viele tragen eine Pelzmütze. Und fast alle kommen mit einer weiß-roten polnischen Flagge. „Wir müssen unsere Fahne zurückerobern“, sagt Frau Anna, „wir dürfen sie nicht den Nationalisten überlassen.“ Demonstrativ schwenkt sie eine zweite Flagge, die einen Kreis aus zwölf goldenen Sternen auf blauem Hintergrund zeigt. „Polen gehört zur Europäischen Union, und dafür stehen wir!“, ruft sie. „Einheit, Solidarität, Verständigung – das sind unsere Werte!“

Gesetzesbeschlüsse trotz internationaler Proteste

„Für diese Werte kämpfen wir“, ergänzt Herr Janusz, ihr Begleiter. „Und wir schützen die Demokratie!“, fügt er ebenso leidenschaftlich wie lautstark hinzu. Frau Anna und Herr Janusz haben die 70 längst überschritten, aber sie lassen keine Demonstration gegen die nationalkonservative Regierung aus, die seit November 2015 das Land mit absoluter Mehrheit regiert und in einer Geschwindigkeit umgestaltet, dass der britische Osteuropa-Experte Timothy Garton Ash von einem „political blitzkrieg“ spricht. Am 9. Januar haben die beiden bei Eiseskälte wieder demonstriert – so wie Zehntausende anderer Polen im In- und Ausland.
Das Parlament hatte sich keine Weihnachtspause gegönnt und am Tag vor Silvester ein Mediengesetz verabschiedet, das am 7. Januar von Staatspräsident Andrzej Duda trotz internationaler Proteste unterzeichnet wurde. Es macht die öffentlich-rechtlichen Medien zu Verlautbarungsorganen der Regierung: Sie sollen in „nationale Kulturinstitute“ umgewandelt werden, die Leitungspositionen werden künftig vom Schatzminister besetzt. Geplant ist zudem, innerhalb von drei Monaten allen Mitarbeitern des öffentlichen Rundfunks und der staatlichen Nachrichtenagentur PAP zu kündigen und dann im Einzelfall zu entscheiden, wer seine Arbeit behalten kann. Private Medien, an denen ausländische Verlage beteiligt sind, sollen „repolonisiert“ werden.
Die Mediengesetze sind nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zur „Reparatur des Landes“, wie Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), den radikalen Umbau des 38-Millionen-Einwohner-Staates bezeichnet. Zuvor waren bereits das Verfassungsgericht entmachtet und Spitzenstellen in Verwaltung und Staatsbetrieben neu besetzt worden. Der Koordinator der Geheimdienste ist nun ein Parteifreund, der wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt worden war. Damit er sein neues Amt überhaupt antreten konnte, hatte ihn Staatspräsident Duda kurzerhand begnadigt – obwohl das Urteil noch gar nicht rechtskräftig war.
„Ist das nicht unfassbar?“, fragt Herr Stanislaw und hebt die Hände. Während des Kriegsrechts vor dreißig Jahren habe er seine Wohnung der Opposition zur Verfügung gestellt – für konspirative Treffen der Solidarnosc-Bewegung. „Wenn ich damals geahnt hätte, was die heute machen …“, sagt er und spielt vor allem auf Solidarnosc-Mitglied Jaroslaw Kaczynski an. Der 66-jährige Kaczynski vertritt ein extrem katholisch-nationalistisches Weltbild und ist der eigentlich starke Mann der Regierung: Ministerpräsidentin Beata Szydlo, seit 16. November im Amt, und auch der im August 2015 vereidigte Staatspräsident Andrzej Duda gelten als seine willfährigen Marionetten und Befehlsempfänger. Kaczynski war bereits von 2006 bis 2007 Ministerpräsident einer EU-skeptischen und anti-deutschen Regierung – unter der Präsidentschaft seines Zwillingsbruders Lech, der im April 2010 bei dem Flugzeugabsturz bei Smolensk ums Leben gekommen war. Sein Vorbild ist der ungarische Premierminister Viktor Orban, mit dem er sich in der vergangenen Woche traf, um eine strategische Allianz zu schmieden.

Im Wahlkampf waren noch soziale Themen zu hören

Im Wahlkampf noch hatte Kaczynski nationalistische Töne vermieden und vor allem auf soziale Themen gesetzt. Versprechungen, das Kindergeld zu erhöhen oder das Renteneintrittsalter wieder zu senken, fielen auf fruchtbaren Boden – vor allem bei denjenigen, die von dem Wirtschaftsboom unter dem Manchester-Kapitalismus der liberal-konservativen Vorgängerregierung nicht profitierten. Doch wes Geistes Kind die neue Regierung ist, wurde rasch deutlich: Ministerpräsidentin Szydlo ließ vor ihrer ersten Regierungserklärung demonstrativ die EU-Fahne aus dem Saal entfernen.
Und: Als in Breslau auf einer anti-muslimischen Demonstration die Figur eines orthodoxen Juden, der eine EU-Flagge in der Hand hielt, verbrannt wurde, weigerte sich die Regierung, die antisemitische Aktion zu verurteilen. So ist es kein Wunder, dass in den sozialen Netzen, aber auch von rechtsextremen Politikern unverhohlen verbreitet wird, die vom „Komitee zum Schutz der Demokratie“ (KOD) organisierten Demonstrationen würden von Juden finanziert.
Kaczynski selbst kennt nur noch Freund und Feind. Kritiker bezichtigt er des Vaterlandsverrats, der „bei manchen Leuten wie in den Genen“ sei – sie seien „Polen der schlimmsten Sorte“. Und er zückt auch wieder die anti-deutsche Karte: „Kein Druck, keine Worte, die vor allem nicht über die Lippen deutscher Politiker kommen sollten, werden uns von diesem Weg abbringen“, sagte er. Sein Außenminister Witold Waszczykowski war bereits Anfang Januar vorgeprescht: Als er in einem Interview mit der Bild-Zeitung vor einem „neuen Mix von Kulturen und Rassen“ warnte und vor einer „Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen“, war allen klar, wer gemeint war.

Schadenfreude wegen der Silvesternacht in Köln

Und so fallen bei den PiS-Anhängern auch im Blick auf Deutschland alle Hemmungen. Die Ereignisse der Silvesternacht werden mit hämischer Schadenfreude kommentiert, und es scheint, als ob der Zweite Weltkrieg erst gestern geendet hätte: Kritiker werden als „Volksdeutsche“ diffamiert, und die rechtsgerichtete Gazeta Polska zeigt auf dem Titelblatt ein Foto von Wehrmachtssoldaten, die im September 1939 einen polnischen Grenzpfahl zerbrechen. Ihre Gesichter: Angela Merkel, Günther Oettinger und Martin Schulz.
Er habe nie erwartet, sagt Herr Janusz, dass er jemals die Demokratie, die man in Polen über zweieinhalb Jahrzehnte mühsam aufgebaut habe, gegen die eigene Regierung verteidigen müsse. Das Land sei tief gespalten. Er befürchte, dass Ex-Präsident Lech Walesa, der einen „Bürgerkrieg“ prophezeit hat, recht behält. Frau Magdalena ist optimistischer: Kaczynski sei ein verbitterter alter Mann, die Regierung werde ihre sozialen Versprechungen nicht einhalten können und bald den Rückhalt verlieren, und die Polen hätten schon ganz andere Regime gestürzt. Und sie beginnt die Nationalhymne zu singen: „Noch ist Polen nicht verloren …“