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“Noch 15 Tage minderjährig”

Lea-Sophie Reiss und Lukas Blümke rechnen sich gute Chancen aus. Erstmals dürfen in der hannoverschen und oldenburgischen Kirche junge Menschen schon ab 16 Jahren in die Kirchenvorstände gewählt werden. „Wenn die Amtszeit im Juni beginnt, bin ich noch 15 Tage lang minderjährig“, sagt Lukas und lächelt verschmitzt. Auch Lea-Sophie ist erst 17. Damit zählen die beiden Jugendlichen aus Celle zu den jüngsten Kandidatinnen und Kandidaten, die es in der evangelischen Kirche in Niedersachsen und darüber hinaus je gegeben hat. Ende Oktober wurden die Wahllisten geschlossen.

In der braunschweigischen Kirche etwa muss 18 Jahre alt sein, wer sich in dem Leitungs-Gremium der Kirchengemeinde engagieren möchte, das mancherorts auch Gemeindekirchenrat oder Presbyterium heißt. So ist es auch in einer deutlichen Mehrheit der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Nur einzelne von ihnen wie Berlin-Brandenburg oder Baden lassen schon länger Jugendliche ab 16 zu. Andernorts dürfen junge Menschen als Delegierte beratend zur Seite stehen, haben aber kein Stimmrecht.

Lukas hat sich im Celler Stadtteil Blumlage aufstellen lassen, Lea-Sophie im benachbarten Westercelle. Bei Cola, Wasser und Keksen erzählen sie im Gemeindehaus von Westercelle, was sie motiviert. „Wir wollen Verantwortung übernehmen“, sagt Lukas. „Das ist auch wichtig fürs spätere Leben.“ An den Wänden des Seminarraumes hängen „Steckbriefe“ der Konfirmandengruppen. Lea-Sophie zeigt auf eines von ihnen, auf dem sie mittendrin steht: „Da war ich Teamerin“, sagt sie. „Bei den ‘hotten Karotten’, wir wollten einen coolen Gruppennamen.“

Wie sie engagiert sich auch Lukas unter anderem in der Konfirmandenarbeit. Auch deshalb blicken sie der Wahl zuversichtlich entgegen. „Viele kennen mich“, sagt Lea-Sophie. Für ihre Kandidatur mussten sie die Zustimmung der Eltern einholen, das sieht das Gesetz vor. Beide haben schon in Sitzungen der amtierenden Kirchenvorstände reingeschnuppert. Abgesehen vom Jugenddiakon sei dort der Jüngste „gefühlt so zwischen 45 und 50“, sagt Lukas. Doch sie haben sich vorgenommen, „auf Augenhöhe“ mitzureden.

Damit das gelingt und die jungen Neuen am Ball bleiben, müssen sich die Kirchenvorstände auf sie einstellen, meint Marie-Sofie Kalis. Die 22-Jährige ist im Februar letzten Jahres in das Gremium ihrer Gemeinde in Langenhagen bei Hannover nachgerückt. Sie will bei der anstehenden Wahl kandidieren und hat inzwischen andere Kirchengemeinden beraten, worauf sie achten sollten. „Am Anfang ist man mit sehr vielem konfrontiert“, sagt die Pflegefachkraft. „Man fasst Beschlüsse über Geldsummen, die man noch nie in der Hand hatte.“

Sie empfiehlt deshalb den Alteingesessenen, nicht für selbstverständlich zu nehmen, worüber beraten wird. Sie sollten dazu ermuntern, Fragen zu stellen und eine Atmosphäre schaffen, in der sich noch Unerfahrene dies auch trauen. „Das kommt allen zugute, auch den Älteren“, sagt sie.

Marie-Sofie Kalis will sich künftig nicht nur auf die Jugendarbeit reduzieren lassen. Sie hat vor, an einem Schutzkonzept zur Prävention von sexualisierter Gewalt mitzuarbeiten. Gerade weil es noch nicht lange her ist, dass sie ihre Zeit in den Jugendräumen und auf Freizeiten verbracht hat, kann sie vielleicht beisteuern, was anderen gar nicht bewusst ist, ist sie überzeugt.

Nach letzten Wahlen 2018 lag das Durchschnittsalter in der hannoverschen Landeskirche bei etwas mehr als 50 Jahren. Nur 2,77 Prozent der Gewählten waren zwischen 18 und 24 Jahre alt. Damit mehr Jüngere in die Gremien einziehen, hat die Landeskirche das Wahlgesetz geändert. Neben dem gesenkten Alter für die Kandidatur sind dafür noch andere Regeln vorgesehen, erläutert die Landespastorin für Ehrenamtliche, Susanne Briese. „Wenn nach der Wahl unter den Gewählten nicht sowieso schon eine Person unter 27 Jahren ist, soll der Kirchenvorstand einen solchen Menschen berufen.“

Vor allem Jüngeren wollen sich oft nicht für eine reguläre Amtszeit von sechs Jahren binden. Darum können sich in der hannoverschen Kirche Interessierte nach dem neuen Gesetz auch für nur drei Jahren aufstellen lassen. Dafür haben sich auch Lea-Sophie Reiss und Lukas Blümke entschieden, die beide noch zur Schule gehen.