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Nicht nur was für Mönche – Warum eine Familie ins Kloster zog

In einem Kloster mitten in Berlin lebt Familie Albrecht: Vater Carsten, Mutter Ulrike, Kind Klemens. Vor sieben Jahren zogen sie ein – auf der Suche nach einem sinnvollen Leben.

Für Klemens, elf Jahre alt, ist die Sache klar: Er wohnt gern im Kloster. “Die Stimmung hier ist ziemlich gut. Es ist ruhig, aber nicht so, wie man das vom Land kennt. Es ist ruhig im Lärm.”

Das backsteinerne “Stadtkloster Segen” mit Kirche und Kapelle liegt mitten auf der belebten Schönhauser Allee in Berlin Prenzlauer Berg. Zwischen schlichten Alt- und Neubauten schmiegt es sich in die Häuserzeile. Nur der mehr als 70 Meter hohe Kirchturm ragt weithin sichtbar heraus – “wie eine Burg”, sagt Harry-Potter-Fan Klemens.

Er ist hier zu Hause, seitdem er fünf Jahre alt ist. Damals entschieden seine Eltern Ulrike und Carsten Albrecht, der geistlichen Gemeinschaft Don Camillo beizutreten und mit ihm ins evangelische Segenskloster im Osten der Hauptstadt zu ziehen. Hier ist der deutsche Zweig der Schweizer Communität untergebracht. Acht Erwachsene und zwei Kinder wohnen hier zusammen. “Die Kinder sind aber ausdrücklich nicht Teil der Gemeinschaft”, sagt Carsten Albrecht. “Sie sollen ihren eigenen Weg gehen.”

Es ist ein Lebensentwurf, der für Familien selten, aber nicht einmalig ist. Auch auf dem Land, im hessischen Gnadenthal etwa in einem ehemaligen Zisterzienserkloster, gibt es diese Möglichkeit.

Die Gemeinschaft Don Camillo wurde in den 1970er Jahren in der Schweiz in der Nähe von Basel gegründet, von Mitgliedern einer gleichnamigen christlichen Band. Der Name geht direkt auf den italienischen TV-Hochwürden zurück, jenem Don Camillo aus den Romanen von Giovanni Guareschi.

Und er passt gut: Ulrike Albrecht mag vor allem das Spielerisch-Leichte an ihrer Gemeinschaft. “Die Konfession ist hier Banane” – also ganz egal, sagt die direkte 43-Jährige. Ihr Mann drückt es ein wenig diplomatischer aus: “Wir schöpfen aus dem Reichtum aller Konfessionen.” Ein Satz, der auf sie beide zutrifft: Die Protestanten aus Brandenburg und Thüringen wurden irgendwann alt-katholisch – weil sie die katholische Liturgie, aber auch den reformierten Ansatz dieser Konfession schätzen.

In ihrer großen Wohnküche im dritten Stock mit Blick auf die Kirchenfenster sitzt die Familie an diesem dämmernden Januarnachmittag an ihrem langen Esstisch bei Kräutertee und Keksen. Er bietet Platz für zahlreiche Personen. “Wir aus der Gemeinschaft essen jeden Mittag zusammen, es wird reihum in den Wohnungen gekocht”, erklärt Ulrike Albrecht. Sie schätze aber auch die Privatsphäre, die jeder durch den eigenen Wohnraum habe. Und ihre Arbeit als Ergotherapeutin, die außerhalb der Klostermauern stattfindet. “Das erdet mich, wenn ich höre, mit was die Menschen sich in ihrem Alltag so rumschlagen müssen.”

Die Gemeinschaft mit den anderen Bewohnern des Klosters gefällt auch Sohn Klemens – dass an Heiligabend zum Beispiel eine “Schwester” der Communität zusammen mit ihnen dreien beim Raclette am Abendbrottisch saß. “Hier sind nette Leute, bei Don Camillo”, findet er.

Das Stadtkloster soll Anlaufpunkt für unterschiedliche Menschen sein: Ein paar Gästezimmer stehen Touristen, Geschäftsleuten oder Tagungsbesuchern für kürzere oder längere Aufenthalte zur Verfügung. Es gibt regelmäßig Gottesdienste, Meditationen und Workshops. Viele benötigten einfach eine Auszeit. Carsten Albrecht ist ihr Ansprechpartner, kümmert sich um die Gästezimmer und deren Bewohner – um praktische Dinge, aber auch “ums Zuhören”. Früher hat der 41-jährige Politikwissenschaftler bei einem Bundestagsabgeordneten der Linken gearbeitet.

Für das Klosterleben entschied er sich, weil er auf der Suche nach einer Einheit seiner drei Lebensinhalte war: Familie, Arbeit und Spiritualität kann er hier miteinander verbinden. Auch wenn ihm das Leben hier nicht immer leicht falle, gibt er zu.

Armut, Keuschheit und Gehorsam: Ein Gelübde wie das der Franziskaner mussten Carsten und Ulrike Albrecht zwar nicht ablegen. “Es ist aber schon die bewusste Entscheidung für die verlässliche Präsenz hier am Ort und auch für einen eher einfachen Lebensstil”, sagt Carsten Albrecht. Er verdiene ein bescheidenes Gehalt, hinzu komme das Teilzeit-Einkommen von Ulrike. “Große Sprünge kann man damit nicht machen. Das ist nicht immer einfach.”

Allerdings verleihe es auch Bodenhaftung, mit wirtschaftlichen Beschränkungen zu leben – schließlich teile man das mit vielen Menschen, sind sich die Eheleute einig. Bei größeren Anschaffungen gibt es außerdem die finanzielle Solidarität der Gemeinschaft – “wenn unser Kind zum Beispiel eine Zahnspange braucht”, sagt Ulrike.

Täglich um acht Uhr findet in der Kirche das Morgengebet statt, um zwölf folgt das Mittagsgebet mit gregorianischen Gesängen. Lediglich das traditionelle klösterliche Abendgebet gibt es nicht. “Darauf haben wir uns geeinigt, weil um die Uhrzeit die Familien mit ihren Kindern beschäftigt sind”, sagt Ulrike Albrecht.

Jeden Morgen gemeinsame Andacht – nervt das nicht irgendwann? Carsten Albrecht schüttelt den Kopf. “Beten ist für mich wie ein Bad zu nehmen”, erklärt er – warm und reinigend. Und auch Ulrike sagt, dass sie es zu schätzen weiß, wenn die Glocke ruft: “Ich muss dann unterbrechen, was ich gerade tue, mich nochmal kurz ausrichten und überlegen, was eigentlich in meinem Leben relevant ist.”

Klemens, der zu den Gebetszeiten normalerweise in der Schule ist, steht am Wochenende meistens nicht für die Andacht auf, sondern bleibt lieber noch ein bisschen liegen. Manche Gebete möge er gern, andere eher weniger, erzählt er. Die Eltern erinnern sich lächelnd, dass Klemens als Fünfjähriger auch schonmal in der Osternacht in der Klosterkapelle eingeschlafen sei – und sie ihn dann geweckt haben, weil sein Schnarchen durch die Stille dröhnte.

Ist es nicht schwer angesichts der Kriege und Krisen in der Welt an den guten Gott zu glauben? “Mich befallen Zweifel an den Menschen und am Zusammenleben, nicht an Gott”, sagt Ulrike Albrecht. Und Carsten ergänzt: “Ich finde es eher bestärkend, mich in all dieser Zerrissenheit der Kraft zu vergewissern, dass es noch mehr gibt. Mehr als das, was Menschen gegeneinander aufbringt.”