Menschen von heute ist der Glaube oft egal, meint Theologe Jan Loffeld. Das könnten weder Strukturreformen noch der Rückzug ins Traditionelle ändern. In seinem neuen Buch stellt er die Frage, welche Konsequenzen das hat.
Aus Sicht des Theologen Jan Loffeld gibt es in der Kirche aktuell zwei Weisen, mit Krisen umzugehen: Optimierung der Strukturen und Optimierung der eigenen Identität – Stichwort Neuevangelisierung. Beiden Varianten bescheinigt Loffeld: Sie würden nicht “als einzelne und einzige Strategien ausreichen, die derzeitige Situation von Kirchen und Christentum zu verbessern”, auch wenn etwa Strukturreformen wichtig für die Glaubwürdigkeit seien.
Woran liegt das? Loffeld, der Priester des Bistums Münster ist und an der Tilburg University School of Catholic Theology in Utrecht lehrt, kommt zu dem Schluss: “Wir merken, dass wir mit unserer eigentlichen Zuständigkeit für Religion keine wirkliche Relevanz nach außen hin mehr entfalten können.” Die Schuld dafür werde oft in der Kirche gesucht. Er plädiert für einen religionssoziologischen Blick: Bei vielen Menschen fehle jedes religiöse Bedürfnis, bei manchen kippe diese Gleichgültigkeit sogar in eine Abwehrhaltung. Auch die Annahme, jeder Mensch suche wenigstens irgendwie nach Sinn, weist Loffeld zurück.
Was heißt das für die Kirche(n)? Loffeld erklärt zunächst, Kirche und Theologie seien auf diese Situation “völlig unvorbereitet”. Auch “pastorale Qualität” führe nicht zu mehr Religiosität. Menschen bedienten sich zwar gern an kirchlichen Ritualen, die man narrativ aufladen könne, und auch das gesellschaftliche Engagement der Kirchen sei willkommen. Die Pastoral könne aber nicht mehr mit einem “Mangelparadigma” agieren: “Dir fehlt etwas, was du bei uns findest.”
Loffeld erachtet es als zentral, die neuen Umstände zu akzeptieren und auf dieser Grundlage eine neue Haltung einzunehmen: “Ziel müsste es sein, Menschen wirklich ernst zu nehmen, ihre Fragen nicht zu verzwecken und vor allem nicht vorschnell im christlichen Sinne zu beantworten.” Man müsse schauen, wie man diese Fragen beantworten könne, ohne dass das einen Effekt auf Faktoren wie kirchliche Mitgliederzahlen haben müsse. Als Themenfelder zum Anknüpfen sieht er etwa die Friedensethik und Fragen nach der Lebensgestaltung. “Die Grundfrage könnte sein: Wie können wir darin das Evangelium und damit den kirchlichen Auftrag im Heute entdecken?”
Auch auf das Erscheinungsbild der Kirche hätten diese Entwicklungen Auswirkungen, so Loffeld. Er entwirft die Vision einer Kirche, die auf alles verzichtet, “was nach Macht, Einfluss oder politischem Kalkül aussieht”. Dieser Weg sei wohl der einzige, wie das Christentum überhaupt noch in die Zukunft gehen könne – vor allem angesichts der Missbrauchsfälle.
Ein kirchlicher Selbsterhaltungswille oder der “konfessionell-identitäre Rückzug auf die Insel der vermeintlich noch ‘wirklichen Gläubigen'” sei dafür eher keine Hilfe. Dennoch müsse die Kirche auch künftig Mehrheitenpositionen anfragen, wo dies nötig sei, etwa bei Themen wie Lebensschutz und Schöpfungsverantwortung.
Loffeld weist darauf hin, dass gerade nach Katastrophenerlebnissen Seelsorge und liturgische Feiern dankbar angenommen würden. “Es ist offenbar das Überschüssige, nicht allein in rationalen Kategorien zu Deutende, das hinter dem Begriff der Seelsorge auch in säkularen Kontexten vermutet wird”, meint er. Diese Art von Seelsorge könne aber nicht mehr allein von religiösen Traditionen, sondern müsse von existenziellen Situationen her verstanden werden. Für Menschen, die inmitten von säkularen Gesellschaften zum Glauben fänden, sei oft ein persönliches Erlebnis die Grundlage dafür, das ihnen eine Relevanz des Glaubens aufzeige.
Auch wenn das alles sehr unkonkret erscheint: Patentlösungen für diese neue Situation kann und will Loffeld nicht liefern. Ideen aus anderen Ländern zu importieren sei schwierig, wenn diese in einer ganz anderen Kultur entstanden seien. Trotz allem brauche es die Kirche aber auch in der Zukunft – wenn auch in veränderter Form: “Weiter geht es […] trotz allem Verlust dort, wo ein Gott erfahren und von ihm erzählt wird, der befreit, rettet, dem Leben etwas hinzufügt, was dieses aus sich selbst nicht hat oder haben kann.” Die Kirche müsse auf vielfältige Weise die Botschaft vom Heilwerden der Welt weitererzählen, “damit individuelle Glaubenserfahrungen nicht zum singulären Ego-Trip werden”.