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Neuer Klinik-Protest bundesweit: “Mit dem Rücken zur Wand”

Unter dem Motto “Alarmstufe Rot – Krankenhäuser in Not” wollen Kliniken heute bundesweit Missstände aufzeigen. Unterdessen könnte die Krankenhausreform die Kliniklandschaft in Deutschland grundlegend verändern.

Erneut wollen Krankenhäuser am Mittwoch in mehreren Bundesländern und am Brandenburger Tor in Berlin unter dem Motto “Alarmstufe Rot” auf ihre schwierige finanzielle Situation aufmerksam machen. Krankenhausträger, Mediziner, Pflegekräfte und Gewerkschaften fordern Reformen, um die aus ihrer Sicht strukturelle Unterfinanzierung zu beenden und unkontrollierte Krankenhausinsolvenzen abzuwenden. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Daten und Fakten zur Krankenhauslandschaft in Deutschland.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es 2021 rund 1.900 Krankenhäuser mit 483.600 Betten. Die Zahlen sind seit Jahren rückläufig: 2001 waren es noch 2.240 Kliniken mit 552.700 Betten. Auch die Zahl der behandelten Fälle sinkt in der Tendenz: Waren es in den Jahren zwischen 2010 und 2019 noch zwischen 18 und 19 Millionen, so ist diese Zahl 2021 auf 16,7 Millionen gesunken. Die durchschnittliche Verweildauer der Patienten sank 1999 erstmals unter 10 Tage. 2021 lag sie bei 7,2 Tagen.

“Die Patientenversorgung in Krankenhäusern war in der Bundesrepublik noch nie so bedroht wie heute”, schreibt der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß. Nach dem im Sommer veröffentlichten Krankenhaus-Rating-Report hat sich die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser in Deutschland 2021 verschlechtert. 11 Prozent der Häuser lagen laut Studie im “roten Bereich” mit erhöhter Insolvenzgefahr, 16 Prozent im “gelben” und 73 Prozent im “grünen Bereich”. Im Jahr zuvor lagen 7 Prozent im “roten”, 25 Prozent im “gelben” und 68 Prozent im “grünen Bereich”. Auch die Ertragslage hat sich negativ entwickelt: 32 Prozent der Kliniken schrieben auf Konzernebene einen Jahresverlust. 2020 waren es 22 Prozent.

Als zentralen Grund nennen die Krankenhäuser steigende Personalkosten und die Inflation, die die Krankenhäuser im deutschen Gesundheitssystem nicht einfach an die Patienten weitergeben können. Ein weiterer Grund ist die anhaltend niedrige Auslastung in Folge der Corona-Pandemie. Für die kommenden Jahre rechnen die Autoren damit, dass die Leistungsmenge dauerhaft niedrig bleibt und es nur zu einem leichten, demografisch bedingten Wachstum kommt. Auch die Investitionsfördermittel der Länder sind seit Jahren zu gering: Sie beliefen sich 2021 auf 3,3 Milliarden Euro – bei eigentlich notwendigen 6,6 Milliarden Euro. Die Krankenhäuser schließen diese Lücke nur zum Teil aus eigener Kraft.

Selbst die Deutsche Krankenhausgesellschaft räumt ein, dass es im internationalen Vergleich zu viele Krankenhäuser gibt. Gaß geht davon aus, dass es innerhalb von zehn Jahren bis zu 20 Prozent weniger Klinikstandorte geben werde als heute. Das sei eine realistische Größenordnung, um eine gute Balance zwischen wohnortnaher Versorgung und Spezialisierung zu erreichen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat ausgerechnet, dass ungefähr 1.250 Krankenhäuser ausreichen würden.

Zugleich warnen Experten vor einer ungeplanten Verringerung der Zahl der Krankenhäuser durch die Hintertür. Der Politik sei offenbar ganz recht, dass immer mehr Häuser durch Insolvenz schließen müssten, lautet der Vorwurf an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Experten und Gesundheitsminister der Länder fordern die Bundesregierung deshalb auf, den Kliniken schnelle zusätzliche finanzielle Unterstützung zu gewähren, um den Übergang bis zum Greifen der Reform zu schaffen. Lauterbach weist das mit Blick auf Sparpläne zurück.

Der Katholische Krankenhausverband Deutschlands und der Deutsche Evangelische Krankenhausverband sehen die Lage der frei-gemeinnützigen Häuser als besonders schwierig an. Sie könnten Defizite nicht wie die kommunalen oder privaten Krankenhäuser und die Universitätskliniken durch Steuermittel oder private Kapitalgeber ausgleichen. Eine Trägervielfalt in der Kliniklandschaft sei jedoch wichtig.

Weniger Standorte könnten eine Entspannung der schwierigen Personalsituation in Medizin und Pflege bedeuten. Aber es geht auch um verbesserte Qualität, weil größere Häuser sich auf bestimmte Behandlungen spezialisieren und bessere Technik vorhalten können. Umstritten ist vor allem die Krankenhausdichte im ländlichen Raum. Gesundheitsminister der Länder befürchten noch längere Anfahrtswege für Patienten und Betroffene in dünn besiedelten Regionen sowie eine Unterversorgung – etwa bei kleineren gesundheitlichen Problemen, bei Geburten und Notfällen. Die Bundesländer wollen sich die Krankenhausplanung deshalb nicht aus der Hand nehmen lassen. Sie berufen sich auf bessere Erkenntnisse über Versorgungsnotwendigkeiten in den jeweiligen Regionen. Nordrhein-Westfalen, Bayern und Schleswig-Holstein haben deshalb Klagen angedroht.

Die Reformpläne sehen eine grundlegend neue Einteilung von Krankenhäusern in unterschiedliche Leistungsstufen vor. Level eins steht etwa für die Grundversorgung. Diese Krankenhäuser sollen eine flächendeckende wohnortnahe Versorgung sicherstellen. Krankenhäuser auf Level zwei soll es für die Regel- und Schwerpunktversorgung geben. Hier könnten dann beispielsweise auch eine Notfall-Schlaganfall-Station und vieles mehr zur Verfügung stehen. Die Häuser auf Level drei sollen die Versorgung für schwerste Krankheiten garantieren; dazu gehören etwa die Unikliniken.

Lauterbach will weniger Ökonomisierung und eine stärker an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Medizin. Von den Kliniken soll wirtschaftlicher Druck genommen werden. Die Finanzierung der Krankenhäuser läuft aktuell fast ausschließlich über festgelegte Pauschalen pro Behandlungsfall. Die Kliniken brauchen also möglichst viele Patienten in kurzer Zeit und möglichst viele einträgliche Behandlungen, um wirtschaftlich zu arbeiten. Das schafft Fehlanreize zu nicht-notwendigen Behandlungen. Andererseits sind ganze medizinische Fachbereiche nach dieser Abrechnungsmethode schwer finanzierbar, weil ständig viel Personal und Technik vorgehalten werden muss, obwohl die Zahl der Behandlungsfälle stark schwankt. Betroffen sind etwa Kinderheilkunde, Pflege, aber auch oft die Spitzenmedizin.

Lauterbach will eine teilweise Abkehr von den Fallpauschalen. Die Kliniken sollen auch Geld für das Bereithalten von medizinischer Infrastruktur und Personal zahlen – frei nach dem Motto, dass die Feuerwehr ja auch nicht nur nach Einsätzen bezahlt wird, sondern auch für das Vorhaltung ihrer Leistung.