Predigttext
17 Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. 18 Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. 19 So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, 20 erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, 21 auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. 22 Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.
Dieser vertraute Text spricht heute anders als erwartet zu mir. Es ist eben nicht gleichgültig, in welcher Zeit und in welchem Umfeld ich einen biblischen Text lese: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist“ (Epheser 2,19f.).
Wir lebten und leben in unserem Land mit „Fremdlingen“, „Gästen“ und Flüchtlingen zusammen, die sich in einer ihnen fremden Welt zurechtfinden müssen. Es gab und gibt viel Hilfsbereitschaft. In den Kirchengemeinden, in unseren Städten und Dörfern kümmern sich Menschen um Andere, die vor politischer Willkür, Gewalt, Krieg und Hunger aus ihrer Heimat geflohen sind. Dabei gelingt das Zusammenleben mit den Migranten in unserem Land erstaunlich gut. Spannungen und Konflikte ließen und lassen sich dennoch zwischen Menschen verschiedener Religionen und Kulturen nicht vermeiden.
In Ephesus prallten Kulturen aufeinander
Das war im nichtchristlichen Umfeld von Ephesus damals nicht anders. Die Christinnen und Christen dort waren „Heidenchristen“, also nichtjüdischer Herkunft, die nicht immer gedeihlich mit den Christinnen und Christen jüdischer Herkunft zusammenlebten. Zu verschieden waren ihre Interpretationen des christlichen Glaubens, der selbst aus der Mitte des Judentums stammte; zu unterschiedlich die Kulturen, aus denen diese Menschen jeweils kamen. Dennoch waren sie alle „Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“ (2,19).
Paulus und die anderen Apostelinnen und Apostel haben ihnen die Botschaft Jesu gebracht, erklärt und anvertraut. Die ersten Gemeinden waren das Fundament, auf dem die christliche Gemeinschaft „zu einem heiligen Tempel in dem Herrn“ (2,21) herangewachsen ist. Sie wurden so „mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist“ (2,22). Sie wurden stark, sichtbar und sprachen vom Geist beseelt vom dem, was sie bewegte und was sie glaubten.
Was das Christentum von Beginn an auszeichnet, ist seine immense Integrationskraft. Der Apostel Paulus steht auch stellvertretend für die vielen Menschen, die eine aus dem vorderen Orient stammende Religion fast in die ganze damals bekannte Welt hinausgetragen haben, bis in die entlegensten Winkel des römischen Reiches. Dabei prallten nicht selten Welten aufeinander! Diese Gemeinden lebten mit anderen Religionen und Kulturen nicht ohne Spannungen und Konflikte zusammen, aber sie versuchten, einander Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen.
Die Migration bereichert uns und unser Land, aber sie stellt uns auch vor neue, große Herausforderungen durch andere Kulturen, die zum Beispiel von einer weltoffenen, barmherzigen und toleranten Interpretation des Islam ebenso geprägt sind wie von einer fundamentalistischen und intoleranten. Neue, auch extremistische politische Bewegungen und Parteien fordern unsere demokratische Kultur heraus und stellen in Frage, was uns längst selbstverständlich erschien. Die Kirchen als Teil unserer Gesellschaft sind ihrerseits herausgefordert, Lösungen zu finden, zu vermitteln, zu helfen. Es ereilt sie in einer Zeit, in der sie sehr auf sich selbst und ihre Zukunft konzentriert sind.
Spannungen nicht aus dem Weg gehen
Ich wünsche mir eine engagierte Kirche, eine, die sich alltäglich einmischt, die den Konflikten und Spannungen – wie damals in Ephesus – nicht aus dem Weg geht. Eine Kirche, welche die Herausforderungen aus ihrer Sicht benennt, sich auf ihren Eckstein, Christus, beruft, der alles und alle zusammenhält. Und ich wünsche mir zutiefst und von ganzem Herzen eine mutige, politische Kirche, die unserem Land, unserer Gesellschaft und unserer Kultur zum Aneckstein wird.