Klimaschutz bis ins Grab: Die “Reerdigung” verspricht eine neue, nachhaltige Bestattungsart zu sein. Laut Anbieter stößt sie auf steigende Nachfrage. Die Bestattungsbranche kritisiert die neue Methode hingegen scharf.
In nur 40 Tagen wird der Leichnam mit Hilfe von Heu, Stroh und Mikroorganismen zu Erde umgewandelt – das versprechen zumindest die Macher der “Reerdigung”. Die neue Bestattungsform erfreut sich laut Anbieter bundesweit wachsender Beliebtheit. Dabei ist sie bislang nur in Schleswig-Holstein erlaubt und trifft auch auf Kritik.
Bei der “Reerdigung”, die es so ähnlich bereits in einigen Bundesstaaten der USA gibt, wird der Körper im Schnellverfahren kompostiert. Das Berliner Start-up Circulum Vitae (Kreis des Lebens) führt sie als bislang einziges Unternehmen seit Februar 2022 in Deutschland durch. Unter der Marke “Meine Erde” wirbt die Firma damit, dass das Verfahren dieselben Vorzüge wie eine Feuerbestattung biete, aber weniger CO2 freisetze und nachhaltiger sei.
In schwarzen Wannen aus Kunststoff, die das Unternehmen “Kokon” nennt, wird der nackte Leichnam auf ein leicht befeuchtetes Gemisch aus Heu, Stroh und Blumen gebettet. Anschließend wird der Behälter verschlossen. Unter Zuführung von Sauerstoff wird er 40 Tage lang elektrisch langsam hin und her gewiegt. “Dann ist alles – sowohl das Bett aus Heu und Stroh als auch das humane Weichgewebe – zu Erde vergangen”, sagt Circulum-Vitae-Geschäftsführer Pablo Metz. Nur die Knochen blieben übrig: “Sie werden, wie im Krematorium auch, mit einer Knochenmühle gemahlen und der Erde wieder beigemischt.” Das entstandene Material wird anschließend in einer Grabstelle beigesetzt.
Bislang sind laut Metz rund 30 “Reerdigungen” durchgeführt worden. Seit Mitte des Jahres betreibe das Unternehmen insgesamt sieben “Kokons”, die seither immer ausgebucht seien: “Es gibt bundesweit ein großes Interesse – und das wird auch nicht kleiner.”
Nach einer zweijährigen Pilotphase hat Schleswig-Holstein im Juni eigens sein Bestattungsgesetz geändert. Auf dieser Basis wird die “Reerdigung” dort weiter erprobt. In anderen Bundesländern ist eine Erlaubnis der Bestattungsform derzeit nicht in Sicht. Viele wollen erst die Erfahrungen aus Schleswig-Holstein abwarten.
Die kompostierte Erde darf allerdings bereits auch auf Friedhöfen in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern beigesetzt werden. Auch mit mehreren anderen Ländern liefen Gespräche über eine entsprechende Erlaubnis, so Metz weiter: “Es gibt überhaupt keinen Grund, warum die Menschen nach einer Reerdigung nicht nach Hause dürfen.”
Mitbewerber auf dem heiß umkämpften Markt der Bestattungen laufen unterdessen Sturm gegen das Verfahren. Die Betreiberin eines Krematoriums verklagte Circulum Vitae unter anderem wegen der Behauptung, eine “Reerdigung” sei so teuer wie eine durchschnittliche Feuerbestattung. Das Landgericht Berlin verbot der Firma daraufhin diese Aussage. Auch darf sie eine wissenschaftliche Studie der Uni Leipzig nicht weiter “begleitende Untersuchung” nennen, da die untersuchten Proben nicht von den Wissenschaftlern selbst, sondern von Mitarbeitenden der Firma entnommen worden waren.
Für die im Januar veröffentlichte Studie hatten die Wissenschaftler Proben von zwei “reerdigten” Leichen untersucht. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die menschlichen Körper tatsächlich innerhalb von 40 Tagen zu Erde umgewandelt worden seien. Diese weise die Eigenschaft von Humus auf. Die zermahlenen Knochen seien vergleichbar mit Knochen, die 20 bis 50 Jahren in der Erde gelegen hätten.
Inzwischen haben die Leipziger Forschenden laut Metz weitere Untersuchungen durchgeführt. Die Proben seien nunmehr von Mitarbeitenden der Uni selbst entnommen worden. Erste Ergebnisse bestätigten die im Januar veröffentlichte Studie. Die Forschungen liefen noch.
Dem Bundesverband der Bestatter, der sich auch als Interessenvertretung der Krematorien sieht und einer der größten Kritiker des neuen Verfahrens ist, reicht die von der Firma selbst in Auftrag gegebene Forschung der Uni Leipzig nicht aus. Generalsekretär Stephan Neuser fordert eine “tatsächliche” wissenschaftliche Begleitung im öffentlichen Auftrag. “Denn hier geht es nicht um die Einführung irgendeines Produkts oder einer Dienstleistung, sondern um den Umgang mit verstorbenen Menschen.” Außerdem sei die Vereinbarkeit der Kompostierung mit der deutschen Bestattungskultur und dem Bestattungsrecht infrage zu stellen, so Neuser.
Rückenwind kommt hingegen von den Kirchen: Die “Reerdigungen” finden bislang ausschließlich auf evangelischen Friedhöfen in Kiel und in Mölln statt. Zudem haben katholische und evangelische Theologen kürzlich gemeinsam mit der “Stiftung Reerdigung” eine Handreichung verfasst, die Geistlichen helfen soll, Trauerfeiern bei einer “Reerdigung” würdig zu gestalten. Auch der Verband der Friedhofsverwalter und die Verbraucherinitiative Aeternitas stehen der neuen Bestattungsform aufgeschlossen gegenüber.