Im Eklat um die Verwendung des Begriffs “Völkermord” in der deutschen evangelischen Erlöserkirche in Jerusalem geraten nun auch die Kirchen in Deutschland ins Visier. Die ökumenische Initiative Kairos Palestine, der unter anderem der emeritierte katholische Patriarch Michel Sabbah angehört, warf Kirchenvertretern hierzulande Heuchelei vor. Indem sie eilig in die Empörung einstimmten, verurteilten sie “nicht die Zerstörung in Gaza, sondern den Mut, sie zu benennen”, hieß es in einer Stellungnahme, die in Jerusalem veröffentlicht wurde.
Zum Reformationstag vergangenen Freitag hatte der lutherische Bischof in Jordanien und dem Heiligen Land, Sani Ibrahim Azar, im Beisein einer nordrhein-westfälischen Landtagsdelegation in Jerusalem über Reformation “nach zwei Jahren Völkermord” gesprochen. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, verließ darauf aus Protest den Gottesdienst. Auch andere Teilnehmer bezeichneten die Wortwahl als inakzeptabel.
Heuchelei-Vorwurf an Deutschland und evangelische Kirche
Kairos Palestine nannte die Reaktionen einen Ausweis moralischen Scheiterns. Deutschland müsse wissen, “dass Schweigen angesichts von Vernichtung Komplizenschaft bedeutet”. Einen palästinensischen Bischof für seine Wortwahl zu maßregeln, während Deutschland Waffen an Israel liefere, sei “die Spitze der Heuchelei”. Besonders kritisierten die palästinensischen Christen die evangelische Kirche: “Wenn eine Kirche, die die Reformation feiert, mehr gegen eine Predigt als gegen Unrecht protestiert, verrät sie ihr eigenes Bekenntnis.”
Christlich-jüdischer Dialog unter Druck
Der Vorgang lege auch offen, dass der christlich-jüdische Dialog korrumpiert sei. Kirchen, besonders in Deutschland, würden damit “erpresst”, dass man die Rede von Apartheid oder Genozid durch Israel als antisemitisch bezeichne. “Ein solcher ‘Dialog’ dient nicht mehr der Wahrheit oder der Versöhnung. Er dient der Macht”, so die Stellungnahme.
“Die jüdische Gemeinschaft, die aus der Asche des Völkermords erstand, dem Holocaust, sollte die erste sein, die aufschreit, wenn wieder Völkermord geschieht.” Dies hätten auch viele getan, hieß es unter Verweis auf Organisationen wie Jewish Voice for Peace oder Breaking the Silence sowie mehrere namentlich genannte jüdische Intellektuelle. Sie verkörperten “das Gewissen eines prophetischen biblischen Glaubens”.
